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Einige Dokumente und ein Ersatzschlüssel reichen für ein Darlehen auf das Auto.

Es dauert eine kleine Weile. "Ja bitte?", fragt die Stimme durch die Gegensprechanlage, dann gibt sie den vierstelligen Code für den Aufzug durch. Eine der beiden Türen im Dachgeschoß ist nur angelehnt, ein Mann und eine Frau verlassen eilig die kleine als Büro eingerichtete Maisonette-Wohnung. Weder Firmenname noch Plakette lassen beim flüchtigen Blick darauf schließen, dass es hier – in einem schmucken Zinshaus nahe einer belebten Wiener Einkaufsstraße – Geld gibt. "Diskretion ist uns wichtig", meint denn auch Sylvia Korntheuer, Inhaberin dieser Auto-Pfandleihanstalt. Und die Begegnung auf Augenhöhe. Die Kunden kämen ja auch nicht als Bittsteller, sondern als Geschäftspartner. Genieren müsse sich hier niemand, so Korntheuer.

Rigide Bankenregeln

Seit 2006 gibt es die Wien-Niederlassung ihrer Firma bereits. Über mangelndes Geschäft kann sie nicht klagen. Im Gegenteil, das zweitälteste Gewerbe der Welt boomt – zumindest was die Zahl der Leihhäuser betrifft: Seit 2005 bis August dieses Jahres hat sie sich österreichweit verdoppelt. Doch was treibt die Leute zu den Pfandleihern? Weniger die Krise, wie man vielleicht denken könnte, als die Tatsache, "dass wir langsam im öffentlichen Bewusstsein ankommen", so Korntheuer.

Durch immer rigidere Bankenregeln bei der Kreditvergabe etabliere sich das Pfandleihhaus zunehmend als Alternative zur kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen. Bares gibt es hier innerhalb weniger Minuten. Mit einigen wenigen Dokumenten, einem Ersatzschlüssel, aber ohne Nachweis der Kreditwürdigkeit oder unangenehme Fragen. 87 Euro an Zinsen und Gebühren fallen pro 1000 Euro im Monat an. Sowohl Weiterbenutzung des Fahrzeugs als auch Garagierung sind möglich. Viele entschieden sich für Ersteres – eine Option, die auch der Firma entgegenkommt. "Garagierung, das bedeutet zusätzlichen Aufwand."

Öffnungszeiten im herkömmlichen Sinn gibt es hier nicht. Alle Eckpunkte, alle Konditionen werden telefonisch oder per E-Mail abgesteckt. Erst dann kommt es zu einem persönlichen Treffen. "Das kann auch an einem Sonntag sein oder spätabends." Rund 40 Minuten dauert das gesamte Prozedere, bis Fahrzeugschlüssel und Papiere gegen das Darlehen getauscht werden. Zusätzlich unterschreibt der Kunde einen Wechsel. Laufzeit: 30 Jahre. Und die durchschnittliche Dauer der Belehnung? Korntheuer lacht: "Generell immer länger als ursprünglich geplant, meistens jedoch zwischen drei und acht Monaten."

Hässliche Szenen bleiben aus

Doch es gibt auch Ausreißer. Ein "Kunde" verlängerte und verlängerte, bis schließlich drei Jahre daraus wurden. "Besser, er rechnet nicht nach, wie teuer das inzwischen geworden ist. Haarsträubend", räumt auch die Geschäftsfrau ein. Und so erstellt sie nicht selten Refinanzierungspläne. Zu hässlichen Szenen sei es aber interessanterweise noch nie gekommen: "Die Leute wissen ganz genau, dass es ihre eigene Schuld ist, wenn sie nicht rechtzeitig zahlen." Neben Disziplin hilft auch das Gespräch. Da werden schon einmal Zahlungsfristen verlängert, wenn es gar nicht mehr anders geht. Im gegenseitigen Interesse. Härtefälle gebe es kaum. Wenn doch? Korntheuer ist auch nach Jahren in diesem Geschäft nicht abgestumpft, sagt sie. "Es gibt Leute, die haben nichts mehr und leben im Auto. Das kann einen nicht kalt lassen." Und es gibt "Wiederholungstäter": Immerhin rund ein Drittel sind Stammkunden. Man kennt sich und weiß, wie das Geschäft läuft.

Privatdetektive im Einsatz

Andere hingegen stellen sich mit Ablauf der Frist quasi tot oder tauchen ganz unter. "Das passiert vielleicht fünf-, sechsmal im Jahr. Dann holen wir uns das Auto." Ein Privatdetektiv rückt aus und macht sich auf die Suche nach dem – manchmal auch versteckten – Fahrzeug. Wird er fündig, erhält der Kunde eine "Karenzzeit" von sechs Wochen, um seine Schuld zu begleichen. Fällig werden allerdings dann neben dem gesamten Darlehen auch Mahnspesen, Zinseszinsen und Aufwandsentschädigung. Im "Worst Case" wird das Auto freihändig verkauft, sprich: über Inserate am Markt angeboten. Versteigert wird heute nichts mehr. "Auktionen waren ein kühner Plan. Aber was soll man tun, wenn keiner kommt?", so Korntheuer.

Wie in fast jedem Gewerbe gibt es auch Hochsaisonen in ihrem Geschäft. Während der Sommer die "stillste Zeit des Jahres" ist, werden die meisten Fahrzeuge im Frühjahr und im Herbst versetzt. "Kurz vor Weihnachten reißt die Nachfrage wieder ab. Da haben die Leute anderes im Kopf." Bei der Einschätzung ihrer Kundschaft tut sich Korntheuer ein bisschen schwer. 50 bis 60 Leute betreut sie mit einer Partnerfirma. "Es kommen alle: Männer, Frauen, Junge und selbst Senioren." Und sie kämen nicht, um sich noch einen zweiten Fernseher ins Zimmer zu stellen oder der Tochter ein neues Handy zu kaufen. Sie sind in einer Notsituation.

Im Vorzimmer der Wohnung hängen drei Uhren. Jede zeigt eine andere Zeit. Doch die Pfandleihhäuser ticken gar nicht so anders als die Banken, meint Korntheuer sinngemäß. "Wir sind durchaus konkurrenzfähig." Und schmunzelnd: "Ich denke, wir sind nicht so böse, wie man vielleicht glauben mag." (Sigrid Schamall, DER STANDARD, 22.12.2014)