Friedrich Erhart (li.) übergibt seinen Fonds an Andreas Wosol. Nach 25 Jahren am Kapitalmarkt geht Erhart "mit einem lachenden und einem weinenden Auge", sagt der Fondsmanager.

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben den Austro-Fonds 25 Jahre geleitet. War es Ihnen nie zu fad, nur den österreichischen Markt im Fokus zu haben?

Erhart: Eigentlich nicht. Fondsmanagement ist so ein interessanter Job. Man lernt wichtige Entscheidungsträger aus dem Kapitalmarkt und der Wirtschaft kennen und bekommt Einblick in die Unternehmen. An der Börse ist jeden Tag etwas Neues los. Man weiß nie genau, was einen am nächsten Tag erwartet.

STANDARD: Aber der Markt in Wien ist doch sehr überschaubar ...

Erhart: Ja, das ist er. Aber es gibt viele interessante Unternehmen, von denen einige Weltmarkt- oder Technologieführer sind. Und der Blick geht über den Tellerrand hinaus. Man muss auch einschätzen, wie es den Branchen europaweit oder sogar weltweit in Summe geht.

STANDARD: Was war in den vergangenen 25 Jahren die spannendste, welche die schwierigste Phase?

Erhart: Das kann man pauschal nicht sagen. Es hat Höhen und Tiefen gegeben sowie lange Durststrecken. Ich habe Anfang 1990 begonnen, da war der Markt auf einem All-Time-High. Dann hat es zehn Jahre gedauert, bis die Wiener Börse dieses Niveau wieder erreicht hat. Dann kam die Phase der Osteuropa-Fantasie. In dieser Zeit hat Wien sehr gut performt und sämtliche andere Märkte hinter sich gelassen. Ich habe aber auch etliche Crashes erlebt.

STANDARD: Das letzte All-Time-High des ATX bei 5000 Punkten war 2008 - wird es wieder zehn Jahre dauern, bis der Index dort steht?

Erhart: Genau terminisieren kann man das nicht. Aber bis die zehn Jahre, gemessen an 2008, vorbei sind, dauert es ja nicht mehr so lange. Ich glaube, dass dieses High nicht so schnell zu erreichen sein wird. Der ATX wurde durch die Nähe zu Osteuropa über Gebühr abgestraft. Das war einmal ein Bonus, jetzt ist es als Malus ausgelegt. Seit 2008 läuft die Wiener Börse nicht mehr so richtig rund. Die Marktkapitalisierung und die geringe Liquidität halten große Investoren davon ab, ihren Fuß nach Wien zu setzen.

STANDARD: Hat man als Anlageuniversum den Euro-Stoxx-600 oder den S&P500, hat man eine große Auswahl. Hatten Sie je das Gefühl, mit dem ATX zu wenige Chancen zu haben?

Erhart: Nicht wirklich, wenngleich gewisse Branchen im ATX nicht abgebildet werden. Pharma- und Technologietitel fehlen.

STANDARD: Sie haben es geschafft, dass der Fonds in 24 von 25 Jahren besser abgeschnitten hat als die Benchmark. Was ist Ihr Geheimnis?

Erhart: Es gibt kein Patentrezept. Das notwendige Geschick, die gute Marktkenntnis und ein Gespür für die Marktpsychologie. Zu spüren, in welcher Phase sich der Markt oder eine Aktie befindet.

STANDARD: Was man durch all die Jahre immer wieder hört, ist, dass Privatanleger im heimischen Markt nur sehr schwach engagiert sind. Warum?

Erhart: Ich denke, die Österreicher sind vom Verhalten her eher die klassischen Sparbuch- und Bausparer. Das ist schade, weil die Aktie als Assetklasse ein tolles Instrument ist. Wenn man sich die Zinsen für Sparprodukte ansieht, führt eigentlich kein Weg an einer Aktienanlage vorbei. Das liegt auch an der Kultur hier im Vergleich zu einer angloamerikanischen Sichtweise.

STANDARD: 25 Jahre spiegeln auch ein verändertes politisches Umfeld wider. Wie ist die Stimmung aktuell? Noch so kapitalmarktfeindlich wie auf dem Höhepunkt der Finanzkrise?

Erhart: Die Einstellung der Politik, dass jeder Anleger ein Spekulant sei, hat dem Kapitalmarkt nicht gutgetan. Die Kapitalertragsteuer hat auch nicht geholfen, und die Diskussion um die Finanztransaktionssteuer hilft auch nicht, das Umfeld freundlicher zu gestalten.

STANDARD: Herr Wosol, Sie übernehmen den Fonds nun. Wie groß sind die Fußstapfen, in die Sie jetzt treten?

Wosol: Die Fußstapfen sind sehr groß. 24 von 25 Jahren Outperformance ist eine Leistung, die ihresgleichen sucht. Aber ich glaube, man darf nicht in Fußstapfen denken. Ich bin eine andere Person, und ich denke, dass die Erfolgsstory weitergeführt werden kann.

STANDARD: Wie sieht Ihr Investmentansatz aus?

Wosol: Fondsmanagement ist etwas Persönliches. Jeder Mensch hat eine andere Sichtweise. Es wird natürlich eine Handschrift von mir geben. Aber uns beide verbindet die langfristige Suche nach attraktiven Unternehmen und die Analyse. Dieser Kern wird aufrecht bleiben.

STANDARD: Nach welchen Kriterien haben Sie die Aktien für den Fonds selektiert? Wie viel Analyse und wie viel Gespür stecken in so einer Auswahl?

Erhart: Die Entscheidung, welche Titel ich wie stark gewichte, ist ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren. Zum einen fließen die fundamentalen Komponenten ein. Auch die Charttechnik ist ein gutes Hilfsmittel zur Beurteilung, in welcher Marktphase sich eine Aktie befindet. Ein Punkt ist die Unternehmensstory. Da geht es auch darum, eine Story, die eine Kursbewegung auslösen kann, vielleicht vor dem Markt zu erkennen. Und dann gibt es Spezialsituationen wie Kapitalerhöhungen, Aktienrückkäufe, Director-Dealings, oder dass sich etwas bei der Indexgewichtung tut. Darauf muss man rechtzeitig reagieren. Es ist ein tägliches Puzzle. Die Mehrzahl der Entscheidungen muss richtig sein.

STANDARD: Sie haben in Dublin Europa-Fonds gemanagt. Haben Sie die Befürchtung, nach dem europaweiten Blick könnte ihnen der Wiener Markt zu eng werden?

Wosol: Nein. Man muss den Fonds ja viel weiter sehen. Auch ein Unternehmen, das seinen Sitz in Österreich hat oder hier gelistet ist, hat globale Einflussfaktoren. Daher muss man in vielen Bereichen europäisch und auch global denken. Klar ist, dass manche Sektoren am heimischen Kapitalmarkt unterrepräsentiert sind. Damit muss man sich halt abfinden.

STANDARD: Das Investmentfondsgesetz erlaubt ja keine Beteiligung, die höher ist als zehn Prozent. Andererseits macht etwa die Erste Bank im Vergleichsindex ATX schon einen Anteil von rund 16 Prozent aus - wie geht man als Fondsmanager damit um?

Wosol: Man hat als Fondsmanager zwar eine Benchmark, ich orientiere mich aber lieber am Unternehmen als an der Gewichtung. Über die Zeit stellt sich das dann schon wieder richtig dar, dass man nur dort investiert ist, wo man den größten Wert sieht.

STANDARD: Bleiben Sie dem Kapitalmarkt in irgendeiner Form erhalten?

Erhart: Ich hätte wahrscheinlich Entzugserscheinungen, wenn ich die Märkte nicht weiter beobachten würde. Das ist nach wie vor eine Leidenschaft.

STANDARD: Was hat Sie an Aktien und der Börse so fasziniert, dass Sie diesen Weg gegangen sind?

Erhart: Es ist einfach spannend, sich mit Unternehmen zu beschäftigen. Der tägliche Versuch, zu günstigen Kursen zu kaufen und zu sehen, wie sich eine Aktie positiv entwickelt - das ist spannend.

STANDARD: Hatten Sie in Ihrer Karriere je die Angst, dass sich alles einfach nicht mehr ausgehen wird?

Erhart: 2008 bis Anfang 2009 war eine Zeit, in der die Weltwirtschaft auf der Kippe gestanden ist und das ganze System im Wanken war. Da hat nicht viel gefehlt. Das war sicher die Phase der größten Unsicherheit. Das hat ja auch zu den größten Kursverlusten geführt.

STANDARD: Wie wird es am Markt weitergehen?

Wosol: Wir sind seit mehr als fünf Jahren von Faktoren getrieben, die fundamental nicht wirklich erklärbar sind. Dazu gehören politische Fehlentscheidungen, geopolitische Risiken sowie Manipulationen bei den Zinsen. Das hat Implikationen. Ich glaube, dass die Unsicherheit noch groß bleiben wird und wir einige Zeit mit Schwankungen leben müssen.

STANDARD: Wie groß ist der Druck, eine ähnlich gute Performance wie Herr Erhart abzuliefern?

Wosol: Mein persönlicher Druck ist nicht so groß. Ich weiß, dass ich mit dem Erfolg von Fritz Erhart einen schweren Rucksack bekommen habe und die externen Erwartungen groß sind. Das ist auch etwas Gutes, man braucht immer einen gewissen Druck. Ich bin überzeugt davon, dass ich den Erfolg weiter so liefern kann, aber in die Zukunft können wir alle nicht schauen. Wir können nur unserem Investmentansatz treu bleiben. Aber die Latte ist hoch, und ich stelle mich dieser Aufgabe. Ich sehe das aber jetzt nicht als Konkurrenz. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 19.12.2014)