Die 8th Street im Südwesten Miamis nennt kaum jemand so: "Calle Ocho", der spanische Name, steht für geballte politische Macht. Dort, wo das Restaurant "Versailles" mit Wandspiegeln Schlossatmosphäre vermitteln möchte und Pensionisten halbe Tage beim Dominospielen im Park verbringen, dort schlägt das Herz des kubanischen Exils. Was man an der Calle Ocho über die Annäherung an Havanna denkt, lässt sich auf eine Formel bringen: keine Kompromisse mit den Castros, früher nicht mit Fidel, heute nicht mit Raúl.
Tipping Point Florida
Die Potenz der symbolischen Magistrale erklärt sich aus den Eigenheiten der amerikanischen Wahlgeografie: Wer ins Weiße Haus einziehen will, muss in Florida gewinnen, wo sich Demokraten und Republikaner alle vier Jahre ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Und wer bei den Cuban Americans - den zwei Millionen Exilkubanern und ihren Nachkommen, die zu drei Vierteln im Süden des Sunshine State leben - nicht zu punkten versteht, hat schlechte Karten.
Lange war die amerikanische Kuba-Politik eine Gefangene innenpolitischer Zwänge: Republikanische Präsidenten übernahmen eins zu eins, was der harte Emigrantenkern dachte, während es demokratische nicht wagten, die Calle Ocho herauszufordern.
Clintons Dilemma 1996 und ...
Es war Bill Clinton, der das Dilemma am anschaulichsten skizzierte: Als er 1996 den Helms-Burton Act unterschrieb - ein Gesetz, das es dem Staatschef immens erschwerte, das Handelsembargo ohne grünes Licht des Parlaments ad acta zu legen -, tat er es, nachdem die Kubaner zwei Flugzeuge einer Anti-Castro-Gruppe abgeschossen hatten und die Calle Ocho auf die Barrikaden gegangen war. Die Novelle zu unterstützen, schrieb Clinton in seinen Memoiren, "war zwar ein guter Schachzug in einem Wahljahr, andererseits nahm mir das jede Möglichkeit, positive Veränderungen in Kuba mit einer Aufhebung des Embargos zu honorieren".
Allein schon die Vorgeschichte illustriert das innenpolitische Risiko, das Obama eingeht. "Hat er Florida gerade an die Grand Old Party verloren?", spitzt das Magazin New York die Frage zu. Schlechter als Obama habe, solange er zurückdenken könne, noch nie einer im Oval Office verhandelt, zürnt der Republikaner Marco Rubio, ein aufstrebender Senator, dessen Eltern einst aus Kuba nach Miami flohen, allerdings drei Jahre vor Fidel Castros Machtübernahme. Obama habe dem Regime alles gegeben, was es verlangte, und fast nichts dafür bekommen: "Es wird keine freien Wahlen geben, keine demokratischen Parteien, keine Pressefreiheit, nichts dergleichen wird passieren, nur weil die Leute nun Coca-Cola kaufen können."
Gewichtiger als die Rhetorik ist die Andeutung der Daumenschrauben, die eine ab 2015 republikanisch beherrschte Legislative der Exekutive anlegen könnte. Blockiert der Kongress die benötigten Gelder, kann die US-Botschaft in Havanna fürs Erste nicht öffnen. Verweigert er dem Kandidaten Obamas für den Botschafterposten die Zustimmung, kann er das Tauziehen noch zusätzlich in die Länge ziehen.
... Obamas Kurswechsel 2014
Dennoch: Interessant sind die Nuancen. So wie es in den Reihen der Demokraten Stimmen gibt, die in dem Kurswechsel einen Ausverkauf sehen, gibt es Republikaner, die öffentlich mit den Hardlinern brechen. "Mein Bauchgefühl sagt mir, dass die meisten meiner Kollegen denken, der Schritt war überfällig", meint Senator Jeff Flake. Und dann sind da noch die neuesten Umfragen, die ein Umdenken im "Little Havana" Miamis signalisieren, die Folge eines Generationenwechsels: Laut Pew-Institut lehnen es 68 Prozent der Cuban Americans nicht mehr rundheraus ab, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 19.12.2014)