Blinde Geschäftigkeit hat den Alltag vieler in einem Maß eingenommen, dass es schwerfällt, einmal nichts zu tun, einmal nicht die Frage nach Wirkung, Zweck oder gar Nutzen zu stellen. Die Arbeitswut, daran wird Leistung und Produktivität gemessen - sie gilt als eine Art Rechtfertigung, überhaupt am Arbeitsmarkt oder sogar am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu dürfen.

Dass Müßiggang oder die Muße Produktives in sich birgt, wird da ungern zur Kenntnis genommen. Auch wenn die Sehnsucht danach und auch das schiere Bedürfnis nach einer "Pause für den Kopf" heute wohl größer sind denn je.

Wurde die Muße in der Antike mit ihren charakterbildenden und kreativen Möglichkeiten für wertvoll gehalten, kehrte sich das im Mittelalter offenbar um. Muße-Forscherin und Autorin Gerlinde Knaus sagt, das sei auf das protestantische Arbeitsethos zurückzuführen, "die Arbeit wurde damals heiliggesprochen, und das hat sich durch die Industrialisierung immer weiter verstärkt.

Heimlich oder in einer Akademie

Müßiggehen, das tut man heimlich. Schließlich steht man unter einem permanenten Rechtfertigungszwang", sagt Knaus.

Rechtfertigen also die Weiterbildungsangebote, die Muße-Akademien, die es ja immer häufiger gibt, das Nichtstun mehr? So einfach sei das nicht erklärt, sagt Knaus, das schöpferische Nichtstun, das will auch gelernt sein.

"Ich weiß, wie paradox das klingt, wenn ich Ihnen sage, dass ich eine fleißige Mußegeherin bin." Mußepraxis müsse man sich sehr wohl aneignen, sagt Knaus: "Für Muße brauchen wir Kraft und Disziplin." Muße werde nicht von außen verordnet, sie komme aus einem selbst.

Muße in den Alltag bringen

Umso wichtiger sei es, Muße in den Alltag zu bringen und nicht für den Urlaub oder für die Freizeit aufzusparen. Der herausragende Wert der Muße ist, sagt Knaus, dass sie eine offene, unverplante Zeit sei, eine, die für sich selbst stehe.

"Diese besondere Zeitqualität, die keinem Zweck untergeordnet ist, in der man auch eine spielerische Haltung einnehmen kann, verändert die Wahrnehmung und öffnet für den Augenblick." Muße sei also ein lebensbejahender Zustand - ganz im Gegensatz zur Faulheit, die gerne damit verwechselt werde, sagt Knaus. Faulheit berge widerständisches Potenzial, sinngemäß drehe man sich damit vom Tun weg.

Und viele können selbst mit diesem Zustand nicht viel anfangen - Langeweile könnte sich einstellen, gegen die wiederum angekämpft werden muss. So wird selbst das Hamsterrad zur Erlösung - es hält davon ab, über ungelöste Probleme oder privaten Ärger nachdenken zu müssen.

Der so erreichte Erschöpfungszustand wird dann stolz wie eine Plakette aufs Sakkorevers gepickt. Wen wundert's, so Knaus sinngemäß, der übervolle Terminkalender trage ja immer noch zum guten Image bei. Dennoch: Gut tue jeder daran, sich Leerstellen im Tagesablauf zu organisieren - das bringe Leidenschaft wieder. (haa, DER STANDARD, 20./21.12.2014)