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Das Pendlerpauschale animiert nicht zu ökologischem Verhalten, meint IV-Generalsekretär Neumayer.

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STANDARD: Sind die Mitarbeiter in den Industrieunternehmen schon alarmiert? Im Zuge der Steuerreform sollen einige Ausnahmen gestrichen werden, von denen derzeit auch die Arbeitskräfte profitieren.

Christoph Neumayer: Wenn man eine umfassende Steuerstrukturreform macht, wären wir selbstverständlich damit einverstanden, dass Ausnahmen gestrichen werden. Man muss sich das aber von Fall zu Fall ansehen. Und: Die vorliegenden Pläne von SPÖ und ÖVP enthalten sicher keine umfassende Strukturreform.

STANDARD: Machen wir es konkret: Fix dürfte eine Verschärfung bei der privaten Nutzung von Dienstautos sein. Das würde vor allem leitende Mitarbeiter betreffen.

Neumayer: Das ist ein gutes Beispiel, wo es abzuwägen gilt. Man muss sich bei jeder Maßnahme ansehen, welche Auswirkungen sie auf das Wachstum hat. Die Automobilindustrie ist ein wichtiger Sektor der österreichischen Wirtschaft. Auch die Autoimporteure lehnen das klar ab.

STANDARD: Reformen sind auch bei der Pendlerförderung angedacht. Das kleine und große Pendlerpauschale soll zusammengelegt werden.

Neumayer: Eine Frage muss auch sein: Subventionieren wir damit Dinge, die ökologisch sinnvoll sind? Wollen wir, dass viele Menschen einpendeln und mehr Eigenheime im Umkreis von Städten gebaut werden? Ich sage ganz offen: Wir haben die letzte Erhöhung des Pendlerpauschale kritisch gesehen, weil falsche Anreize gesetzt werden. Ich würde daher sagen: Das ist eine Förderung, die klar hinterfragt werden muss.

STANDARD: Die Wirtschaft drängt aber auch darauf, dass die Arbeitnehmer weit entfernte Jobs annehmen. Ist das nicht ein Widerspruch?

Neumayer: Das ist natürlich auch ein Thema. Aber die Frage dabei ist: Fahre ich mit meinem Auto allein dorthin, oder habe ich nicht auch die Möglichkeit, den Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen?

STANDARD: Ein klassisches Anreizthema sind auch die Überstunden. Derzeit gibt es eine steuerliche Ermäßigung für maximal zehn Überstunden, was Mehrarbeit attraktiv macht.

Neumayer: Auch da gibt es zwei Seiten. Vor allem junge Facharbeiter rechnen mit dieser Begünstigung, weil sie größere Ausgaben – etwa für die Familiengründung oder Wohnraumbeschaffung – planen. Die Frage ist also wiederum: Was erreiche ich damit und was nicht?

STANDARD: Die Befürworter der Streichung erhoffen sich weniger Selbstausbeutung. Stichwort Burnout.

Neumayer: Es geht um maximal zehn Überstunden pro Monat. Das ist aus meiner Sicht vertretbar. Wie gesagt: Hochattraktiv ist die Begünstigung vor allem für Jüngere. Dort findet aber Selbstausbeutung weniger statt. Die Gründe für Burnout sind mannigfaltig. Hier müssen wir vor allem bei Gesundheitspräventionsprogrammen ansetzen, auf die immer mehr Unternehmen setzen.

STANDARD: Warum lehnt die Industrie ein Bonus-Malus-System zur Beschäftigung älterer Menschen ab? Auch das wäre ein Anreizmodell: Wer mehr Ältere beschäftigt, bekommt etwas. Wer weniger beschäftigt, muss zahlen.

Neumayer: Dieser Ansatz ist völlig antiquiert. Wir müssen auf vielen Ebenen ansetzen. Es gilt, Löcher im Pensionssystem zu schließen, damit Arbeitgeber und -nehmer nicht wie früher oft eine unheilige Allianz zum frühestmöglichen Pensionsantritt bilden können. Und wir müssen es attraktiver machen, dass Menschen länger in Beschäftigung bleiben – etwa durch eine flachere Lebenseinkommenskurve, höhere Zuschläge zur Pension bei späterem Antritt und, und, und.

STANDARD: Das verstehe ich jetzt nicht: Bei Arbeitnehmern sollen Anreizsysteme funktionieren, bei Arbeitgebern aber nicht?

Neumayer: Ein Arbeitgeber denkt nicht so. Er denkt: Wie wertvoll ist mir der Mitarbeiter? Wie kann ich die Person in der Arbeitsorganisation bestmöglich einbinden? Warum soll jemand bonifiziert werden, wenn er weiter auf wertvolle Mitarbeiter setzt?

STANDARD: In der Industrie gibt es viele Wohlhabende. Müssen diese in der heutigen Zeit nicht umdenken? Kapitalvermögen haben unter der Wirtschaftskrise viel weniger gelitten als Arbeitseinkommen. Kann man da wirklich gegen eine Erbschaftssteuer sein?

Neumayer: Wir sind bereits Umverteilungsweltmeister. Allein die obersten zehn Prozent an Einkommensbeziehern bezahlen 57 Prozent des Lohn- und Einkommensteueraufkommens. Was jetzt von der SPÖ auf dem Tisch liegt – bis zu 35 Prozent Erbschaftssteuer unabhängig vom Verwandtschaftsgrad und noch eine Millionärssteuer dazu –, ist eine grobe Dummheit. Durch solche Ideen verfestigen wir das Bild Österreichs, das vom Musterkind zum Sorgenkind unterwegs ist.

STANDARD: Bei einer klassischen Vermögenssteuer kann ich Ihre Argumente nachvollziehen. Aber eine moderate Erbschaftssteuer würde wohl niemanden abschrecken.

Neumayer: In den meisten Ländern, die Erbschafts- und vermögensbezogene Steuern haben, sind Arbeitseinkommen sehr viel geringer besteuert. Dort ist die Idee: Du hast es leichter, wohlhabend zu werden. Dafür zahlst du im Fall einer Vererbung oder Schenkung noch einmal Steuern. In Österreich ist es mittlerweile fast unmöglich, Wohlstand zu generieren. Und trotzdem will man danach noch einmal kassieren. Das lehnen wir ab, das ist Raubrittermentalität.

STANDARD: Also müsste zuerst die Abgabenquote sinken?

Neumayer: So ist es, dann kann man immer über andere Dinge diskutieren. Aber dann brauchen wir auch ein anderes Steuermodell. (Günther Oswald, DER STANDARD, 29.12.2014)