Wien - Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren sie in Europa so gut wie ausgerottet. Restpopulationen von Wolf, Braunbär, Luchs und Vielfraß konnten sich nur in den südlichen, östlichen und nördlichen Randgebieten Europas oder Bergregionen halten. Ihre Anwesenheit wurde zum Synonym für unberührte Wildnis.
Der Mensch jagte die vier großen Beutegreifer, weil sie als Konkurrenten und Schädlinge wahrgenommen wurden. Ihr Lebensraum, der Wald, wurde großflächig abgeholzt und ihre Nahrungsgrundlage, die wilden Huftierbestände, großflächig ausgerottet oder auf ein Minimum reduziert. Die Chancen standen mithin schlecht, dass die Raubtiere im 21. Jahrhundert in freier Wildbahn überleben würden. Doch nun zeigt sich, dass die großen Beutegreifer viel anpassungsfähiger sind als von Zoologen angenommen.
Aufwändige Bestandserhebung
In den letzten zwei Jahren hat ein Team von 76 Wissenschaftern aus 26 Ländern den Status und die Verbreitung von Wolf, Braunbär, Luchs und Vielfraß in Europa zusammengestellt und jetzt im Wissenschaftsjournal "Science" unter der Federführung von Guillaume Chapron von der Schwedischen Universität für Landwirtschaft veröffentlicht. Das Forscherteam, an dem auch Petra Kaczensky, Georg Rauer und Felix Knauer von der Veterinärmedizinischen Universität Wien beteiligt waren, fand unter anderem heraus, dass Europa heute wieder 17.000 Bären, 12.000 Wölfe, 9000 Luchse und 1250 Vielfraße in seinen dicht besiedelten Kulturlandschaften beherbergt.
Etwa ein Drittel Europas wird wieder von mindestens einem der vier großen Beutegreifer besiedelt. Auf 600.000 Quadratkilometern - das entspricht knapp der doppelten Fläche Deutschlands - kommen sogar mindestens drei der vier Beutegreifer gemeinsam vor. Fast alle Bestände sind stabil oder ansteigend. Die Gründe für diese erfreuliche Entwicklung sind vielfältig: So habe sich die Waldfläche dramatisch vergrößert, sagt Wildtierforscherin Kaczensky. "Zudem sind die wilden Huftierbestände vielerorts höher als je zuvor."
Doch auch unser Naturverständnis habe sich geändert, und der Schutz der großen Beutegreifer sei ein gesellschaftliches Anliegen geworden. "Diese Entwicklung zeigt, dass es auch ohne riesige Wildnisgebiete möglich ist, Biodiversität auf großer Fläche zu erhalten", so Petra Kaczensky: "Selbst anspruchsvolle Wildtiere wie Luchs und Co können in vielseitig genutzten Kulturlandschaften mit uns zusammenleben - wenn wir sie lassen." (tasch, DER STANDARD, 20.12.2014)