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Armeechef Raheel Sharif (links) und Premier Nawaz Sharif (Mitte) besuchten am Mittwoch einen Überlebenden des Schulmassakers. Armeechef Sharif entwickelt sich zum neuen starken Mann in Pakistan.

Foto: AP Photo/Inter Services Public Relations

Islamabad / Neu-Delhi – Ein wenig wirkt Premier Nawaz Sharif wie ein abgekanzelter Schulbub, wie er da neben dem Armeechef sitzt. Nach dem Schulmassaker mit 148 Toten, die allermeisten Kinder, sei die Führung des Landes "still und leise in die Hände von Armeechef Raheel Sharif" geglitten, kommentierte die liberale Zeitung "Express Tribune" die Geschehnisse.

Der Anschlag auf die Schule in Peschawar, der schlimmste in der ohnehin blutigen Geschichte Pakistans, hat das Land bis ins Mark erschüttert. Nach sechs Jahren hob die Regierung das Moratorium bei der Todesstrafe auf, aber Armeechef Sharif bestimmt offenbar die Kandidaten. Sechs verurteilte Terroristen wurden bis Sonntag gehängt – allein fünf wegen Anschlägen auf den früheren Militärherrscher Pervez Musharraf. Ein weiteres Dutzend Hinrichtungen soll folgen.

Luftangriff in der Khyber-Region

Zugleich verstärkte das Militär die Luftangriffe auf Taliban-Stellungen in Nordwaziristan und der Khyber-Region. Es gab unbestätigte Gerüchte, auch Maulana Fazlullah – wegen seiner Hörfunkpredigten auch "Radio Mullah" genannt – sei unter den Toten. Der Taliban-Führer wird hinter dem Blutbad an der Schule vermutet. Parallel billigte US-Präsident Barack Obama eine Milliarde Dollar als Finanzhilfe für Pakistans Kampf gegen die Taliban.

Auch politisch scheint das Militär das Heft in die Hand zu nehmen. Noch am Mittwoch reiste Armeechef Sharif nach Kabul, um mit Afghanistans Präsident Ashraf Ghani und der Nato über das weitere Vorgehen zu beraten. Ein sanfter Coup? Die "Express Tribune" sieht eher ein politisches Machtvakuum. Die Regierung agiere so planlos, dass die "geschockte Nation die wahrgenommene Macht dem gewählten Sharif entrissen und dem Befehlshabenden Sharif geschenkt" habe.

Mächtige Fundamentalisten

In vielen Städten kam es zu Protesten, Mahnwachen und Gebeten. In Islamabad protestierten am Wochenende hunderte Aktivisten vor der Roten Moschee, die als Hochburg radikalen Gedankenguts gilt. "Wie viele Tote braucht es noch, bis unser Volk aufwacht und erkennt, dass wir unsere Dämonen konfrontieren müssen?", rief ein Demonstrant.

Doch die Radikalen sind mächtig. Gezielt haben sie ein Klima der Angst verbreitet und Liberale getötet, die es wagten, ihnen die Stirn zu bieten. Dazu gehörten Politiker wie Salman Taseer oder Shahbaz Bhatti. Selbst die Kinderaktivistin Malala Yousafzai überlebte nur schwer verletzt einen Anschlag. Trotzdem riskieren immer wieder Mutige ihr Leben, um gegen den Terror zu protestieren. Doch die Massen schweigen.

Seit 2004 bombardieren die USA mit Drohnen die Grenzgebiete. Um die 3000 Menschen wurden so getötet. Je nach Quelle waren 286 bis 890 der Opfer Zivilisten, darunter 168 bis 197 Kinder. Amnesty International glaubt, dass die Drohnenangriffe den Tatbestand von Kriegsverbrechen erfüllen könnten. Auch Pakistans Armee soll ungezählte mutmaß liche Militante oder Separatisten ohne jegliche Prozesse "verschwinden lassen". Zahlen gibt es nicht, aber die Opfer könnten in die Tausende gehen. (Christine Möllhoff, DER STANDARD, 22.12.2014)