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Anhänger von Béji Caïd Essebsi feiern dessen Wahlsieg in Tunis.

Foto: REUTERS/Anis Mili

Tunis – Fast vier Jahre nach dem Sturz des langjährigen tunesischen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali hat das nordafrikanische Land am Sonntag über einen neuen Staatschef abgestimmt: Der ehemalige Regierungschef Béji Caïd Essebsi ist nach Angaben der Wahlkommission vom Montag Sieger der Stichwahl. Der 88-Jährige liegt mit rund 55,7 Prozent mehr als zehn Prozentpunkte vor seinem Gegner, Übergangspräsident Moncef Marzouki. Die beiden gelten als Erzfeinde.

Der 88-jährige Essebsi erklärte unmittelbar nach Schließung der Wahllokale vor etwa 2000 Anhängern in Tunis, er habe die Wahl gewonnen. Er dankte seinen Wählern und würdigte seinen Gegner Marzouki. "Tunesien braucht alle seine Kinder", sagte er. Das Lager Marzoukis widersprach umgehend.

Antiislamistische und neoliberal ausgerichtete Partei

Essebsi gehört der antiislamistischen und neoliberal ausgerichteten Partei Nidaa Tounes ("Ruf Tunesiens") an, die bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen stärkste Kraft geworden ist. Sie gilt als Sammelbecken der alten Staatselite um Ben Ali, der im Jänner 2011 durch einen Volksaufstand gestürzt wurde.

Der 69 Jahre alte Marzouki gehört dem sozialdemokratischen Kongress für die Republik (CPR) an. Der Bürgerrechtler war Anfang 2012 mit Unterstützung der islamistischen Partei Ennahda zum Übergangspräsidenten gewählt worden. Zu der jetzigen Abstimmung waren 5,3 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen. Es war die erste freie Wahl eines Staatschefs seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956.

Marzouki sagte, er werde Essebsis Äußerungen über dessen angeblichen Sieg nicht kommentieren. Es gebe allerdings Hinweise, dass er selbst vorne liege. Der Politiker sprach zu seinen Anhängern vor seiner Wahlkampfzentrale in der Hauptstadt.

Amtliche Ergebnisse am Montag

Erste amtliche Ergebnisse sollen am Montag vorliegen, der Sieger soll spätestens am Mittwoch feststehen. Die Stichwahl war notwendig geworden, weil in der ersten Wahlrunde am 23. November keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit erlangt hatte.

Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Agency meldete, nach der Auszählung von 75 Prozent der Stimmen liege Essebsi bei über 54 Prozent.

Gegenseitige Vorwürfe im Wahlkampf

Der Wahlkampf war von gegenseitigen Vorwürfen geprägt. Marzouki präsentierte sich als Verteidiger der "Revolution" vom Frühjahr 2011 gegen eine Rückkehr des alten Regimes. Zudem kritisierte er das hohe Alter seines Kontrahenten Essebsi, der bereits unter Staatsgründer Habib Bourguiba diente. Essebsi wiederum warf Marzouki vor, ein "Extremist" und Vertreter der Islamisten zu sein, die das Land seit 2011 heruntergewirtschaftet hätten.

Viele Tunesier äußerten sich kritisch zu den Schmutzkampagnen, bekundeten jedoch die Hoffnung auf Wandel. Der Lebensmittelhändler Mohammed Taieb sagte: "Unsere Kandidaten, unsere Politik sind vielleicht nicht die Besten, aber es geht voran, die Diktatur ist vorbei." Die Zeitung "Le Temps" rief die Tunesier auf, an die Urnen zu gehen, um nicht den "Zug der Geschichte" zu verpassen. "La Presse" schrieb von einem Tag, der "ewig im kollektiven Gedächtnis" bleiben werde.

Angriff auf Schule

Zehntausende Soldaten und Polizisten waren im Einsatz, um die Abstimmung abzusichern, nachdem eine Jihadistengruppe, die sich zum Islamischen Staat (IS) im Irak und Syrien bekennt, mit Anschlägen gedroht hatte. In der Region von Kairouan gab es in der Nacht auf Sonntag einen Angriff auf eine Schule, in der Wahlunterlagen gelagert wurden. Dabei wurden laut dem Verteidigungsministerium ein Angreifer getötet und drei Männer festgenommen.

Das Ministerium ging aber nicht von einem jihadistischen Hintergrund aus. Der getötete Mann habe ein Jagdgewehr bei sich gehabt, doch würden "Terroristen allgemein nicht Jagdgewehre" benutzen, hieß es. Ministerpräsident Mehdi Jomaa sagte nach dem Angriff, die beste Antwort auf derartige Attacken sei, "zahlreich und in aller Ruhe zur Wahl" zu gehen. (red/APA, 22.12.2014)