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Gemeinsame Traditionen stärken das Wir-Gefühl. Gruppenzugehörigkeit verleiht soziale Stärke.

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Schon 1943 sang Bing Crosby "I’ll be home for Christmas" und beschrieb damit den Wunsch das Weihnachtsfest im Kreise der Familie zu verbringen. Besonders zu den Feiertagen sehnen wir uns nach einem harmonischen Miteinander in der Familie und mit guten Freunden.

Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass traditionelle Verhaltensweisen unsere Gefühle, besonders Glück, Freude und Wohlbefinden, erhöhen bzw. steigern. Auch Bräuche stabilisieren das kulturelle Gedächtnis. Feste, die wir begehen, erinnern uns an etwas und sind meist mit bestimmten religiösen Ereignissen verbunden, die wir in der Gemeinschaft erleben.

"Ein Brauch ist ein gemeinsames Handeln von mehreren Menschen, wobei dieses Tun in festen, stark ritualisierten Formeln geschieht und regelmäßig meist im jährlichen Rhythmus stattfindet", erklärt Ursula Viktoria Wisiak von der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie der Med-Uni Graz. In jeder Tradition liegt eine Botschaft, man könnte auch sagen "etwas Inneres kommt zum Ausdruck".

Obwohl Menschen heute sehr individuell und selbstbestimmt leben, haben sie eine große Sehnsucht nach Verbindlichkeit. Bräuche drücken Zusammenhänge aus, sie lassen Gemeinschaften leben und erleben.

Weihnachten: Prägung von Kindheit an

Es gibt nur wenige Anlässe, die mit so vielen Gefühlen und Erinnerungen wie die Weihnachtszeit behaftet sind. Ob das gemeinsame Backen der Weihnachtskekse, der erste Spaziergang im Schnee oder der geheime Blick durch das Schlüsselloch, viele positive Kindheitserinnerungen verbinden wir sofort mit dem Weihnachtsfest.

"Wer das Glück hatte in einer intakten Familie aufzuwachsen möchte dieses Gefühl der Geborgenheit gerne an Kinder und Enkelkinder weitergeben", sagt die Grazer Expertin. Zu Recht, denn Reizüberflutung und Lebenstempo verlangen nach einem Gegenwicht in Form von gelebten Traditionen.

Weihnachten als Fest der Familie hat uns schon von klein auf durch Rituale und Bräuche geprägt, die den Zusammenhalt der Gemeinschaft, Harmonie und Frieden fördern. Dies wirkt sich sowohl auf die seelische als auch körperliche Gesundheit aus.

"Je aufwendiger Traditionen gelebt werden, desto stärker entsteht die Gruppenzugehörigkeit und Kooperationsbereitschaft zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern", sagt Ursula Viktoria Wisiak.

Jede Kultur, Gesellschaftsschicht, Familie und jeder Freundeskreis schafft sich eigene Rituale. Man könnte sagen, wenn etwas Bestimmtes passiert, dann muss in einer festgelegten Weise darauf reagiert werden.

Werden Traditionen nicht weitergeführt - wie zum Beispiel, dass Eltern mit den eigenen Kindern nicht zusätzlich das Weihnachtsfest in den Häusern der Großeltern feiern - kann dies zu Missverständnissen und auch zu einem Erleben der Missachtung beim anderen führen.

Familienfest als Bühne für ungelöste Konflikte

Oft werden zwischenmenschliche Belastungen gerade zur Weihnachtszeit unterschätzt, man sieht sich oft das ganze Jahr nicht oder nur sehr sporadisch, kommt aber wenigstens zu Weihnachten "nach Hause" oder "zusammen".

Die erste Euphorie des Wiedersehens verfliegt oft sehr rasch und alte, ungelöste Konflikte kommen zum Vorschein oder brechen durch. Manchmal herrscht nur ein "weihnachtlicher Waffenstillstand".

"In ihrer Kindheit haben die meisten in ihrer Familie in Geborgenheit gelebt, und viele leben heute als Single und Individualist, wodurch es ihnen schwerfällt, zu Weihnachten allein zu sein", so Ursula Viktoria Wisiak. Sich rechtzeitig von den Illusionen um Weihnachten zu trennen, zwischenmenschliche Konflikte schon während des Jahres zu lösen und regelmäßige wahre Freundschaften zu pflegen kann helfen, Weihnachten gemeinschaftlich und besinnlich zu begehen.

Durch das Pflegen von Aktivitäten, die einem wichtig sind, sowohl in Gemeinschaft als auch als Einzelner, können Verbundenheit und Geborgenheit erlebbar werden. (red, derStandard.at, 22.12.2014)