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Parteichef Xi Jinping.

Foto: REUTERS/Jason Lee

Der offiziellen Bekanntgabe einer parteiinternen Untersuchung wegen "schwerwiegender" Korruption gegen den hochrangigen Funktionär Ling Jihua kam rasch eine geheime Anweisung der Zensurbehörden an die Chefredakteure hinterher. Sie befahlen ihnen, die kurze Nachricht über das Verfahren gegen den ehemaligen Bürochef des ZK nicht hochzuspielen, der zwischen 2007 bis 2012 engster politischer Vertrauter von Exparteichef Hu Jintao war. Die Website chinadigitaltimes.net zitierte aus dem ihr zugespielten internen Erlass: "Haltet strikte Propagandadisziplin ein. Hängt diesen Fall nicht von euch aus zu hoch. Kontrolliert die Onlinekommentare."

Die chinesischsprachigen Tageszeitungen druckten am Dienstag dann auch ohne weitere Erklärung und unkommentiert den dürren Standard-Satz. Mit ihm hatte die ZK-Disziplinkontrollbehörde auf ihrer Webseite am Abend zuvor um 20 Uhr das politische Ende in der Karriere des 58-Jährigen bekanntgegeben: Ling sei "schwerwiegender Disziplinverstöße verdächtig. Derzeit stellt er sich seiner Untersuchung durch die Parteiorganisation." Nach gängiger chinesischer Praxis bedeutet diese Formulierung, dass Ling der Parteiausschluss droht, bevor er den Gerichten zur Aburteilung übergeben wird.

Nicht mit Festnahme gerechnet

Peking möchte zu viel Aufsehen vermeiden. Ling ist protokollarisch der höchstrangige Politiker unter den mehr als 60 "Tigern", die Parteichef Xi in seiner schon zwei Jahre anhaltenden Antikorruptionskampagne seit Amtsantritt erledigen ließ. Ling übte anders als etwa die aus dem Ruhestand heraus verhafteten einst allmächtigen Funktionäre, wie Ex-Polizeizar Zhou Yongkang, der Mitglied der obersten Parteiführung war, oder General Xu Caihou, der Vizearmeechef war, bis vergangene Woche noch zwei Ämter aus. Er ist Leiter der ZK-Abteilung für Einheitsfrontpolitik und Vizepräsident des Beraterparlaments. Öffentlich tauchte er noch auf einer in den CCTV-Hauptnachrichten gezeigten Parteisitzung am 13. Dezember auf. Er schien den Bildern nach guter Dinge zu sein. Offenbar rechneten weder er noch sein Umfeld mit einer Festnahme. Am 16. Dezember erschien zudem das Theorieorgan der Partei "Qiushi" (Die Wahrheit in den Tatsachen suchen) mit einem Schwerpunkt-Aufsatz von Ling. Er beschrieb seine Erkenntnisse aus dem Studium der "wichtigen Reden von Generalsekretär Xi Jinping" über die korrekte Politik der Partei in der Nationalitätenfrage. Ling lobt überschwänglich den Parteichef, nennt allein seinen Namen 20-mal. Dank seiner Politik könnte China die "feindlichen westlichen Kräfte" mit ihren Versuchen "zur Verwestlichung und Spaltung der Einheit der Nation" ebenso entschieden bekämpfen wie "Separatisten, religiöse Extremisten und gewaltsame Terroristen".

Die Hymnen lesen sich wie Treueschwüre auf Xi. Erstaunlich ist, dass sie in der vom ZK direkt herausgegebenen Theoriezeitschrift noch unmittelbar vor der Festnahme von Ling erscheinen konnten. Das zeigt, wie geheim die kleine Gruppe von ZK-Disziplinwächtern vorgeht, wenn sie ihre parteiinternen Festnahmen vorbereiten. Die Partei behauptet, sie habe sich die Herstellung rechtstaatlicher Verhältnisse auf ihre Fahnen geschrieben, darunter das Prinzip der Unschuldsvermutung für jeden bis zum Gerichtsurteil. Ling wurde nicht nur öffentlich vorverurteilt. Am Dienstag verschwand auch sein Aufsatz aus dem Online-Inhaltsverzeichnis auf der Website des Parteiorgans "Qiushi". Als Autor wurde er virtuell zur Unperson gestempelt.

Autounfall stoppte Aufstieg

Schon im Frühjahr 2012 hatte ein spektakulärer Autounfall, bei dem sein Sohn Ling Gu starb, den erwarteten Aufstieg des damaligen ZK-Bürochefs ins Politbüro gestoppt, wenige Monate vor dem Machtwechsel zum neuen Parteichef Xi. Sein Sohn war mit seinem 600.000 Euro teuren Ferrari und überhöhtem Tempo auf einen Brückenpfosten geprallt. Zwei mitfahrende Freundinnen wurden schwer verletzt. Vater Ling soll versucht haben, den Unfall zu verschleiern. Er habe sich dazu mit dem damaligen ZK-Sicherheitschef Zhou Yongkang zusammengetan.

Die Protektion von Ex-Parteichef Hu Jintao rettete offenbar Ling beim Wechsel-Parteitag Ende 2012. Statt aufzusteigen, wurde er aber mit der Leitung der nachgeordneten ZK-Abteilung für Einheitsfront abgefunden und einem Vizevorsitz im machtlosen Beraterparlament. Die Schlinge zog sich für ihn zu, als Pekings Parteiwächter im Juni 2014 die Kohleprovinz Shanxi durchkämmten, Lings Heimat, in der er früher politisch arbeitete. Zu den von ihnen im "Hort der Korruption" aufgesprengten Seilschaften und Festgenommenen gehörten auch zwei Brüder von Ling und andere Familienangehörige

Hinter Lings Festnahme verstecken sich aber nicht nur alte Ab- und Aufrechnungen. Sie sind wohl auch als erneute Warnung gedacht, dass keiner vor dem Aufräumer und Parteichef Xi sicher ist. Dessen politische Tigerjagd geht weiter. (Johnny Erling, DER STANDARD, 23.12.2014)