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Viele Nordkoreaner flüchten über die Grenzflüsse nach China, da die direkte Grenze zu Südkorea zu stark überwacht wird.

Foto: REUTERS/Kim Hong-Ji

Die Frau war 37 Jahre alt und eine treue Anhängerin des Regimes in Nordkorea, als sie über den gefrorenen Grenzfluss nach China flüchtete. Die Lehrerin aus Pjöngjang wollte Mitglied der Kommunistischen Partei werden, strebte eine Karriere innerhalb des Staatsapparates an. Doch ihre Eltern waren aus Südkorea, intern Vertriebene während des Koreakrieges. Deshalb wurde das Ansuchen der Lehrerin auf eine Parteimitgliedschaft abgelehnt. Als sie sich das letzte Mal vor der Grenze umdrehte, wusste sie, dass sie ihre Familie und ihr Land nie wiedersehen würde. Sie hatte Angst, dass das Regime ihrer Familie Leid antun würde, weil sie flüchtete. Aber sie sah keinen anderen Ausweg. In China wurde für sie alles noch schlimmer.

Obwohl die Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen von 100.000 bis 400.000 Nordkoreanern ausgehen, die bereits die Grenze nach China überquert haben, weigert sich die kommunistische Führung in Peking, den Menschen Asyl zu ermöglichen. Anfang des Jahres wurde die chinesische Regierung deshalb von den Vereinten Nationen gerügt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk habe keinen Zugang zu den Geflohenen, und Peking erinnere sich nicht an die Konventionen, die es selbst unterschrieben habe, heißt es in dem Bericht. China empörte sich und sprach von einer internen Angelegenheit, die die Weltgemeinschaft nichts angehe.

Abschiebung nach Nordkorea

Seitdem hat sich laut Arnold Fang von Amnesty International nicht viel an der Politik der Chinesen geändert. Der Menschenrechtsaktivist hat sein Büro in Hongkong – Peking erlaubt den NGOs keinen Zugang ins Land. Fang weiß zwar von vereinzelten Fällen, in denen die chinesischen Behörden Nordkoreaner nach der Verhaftung wieder laufenließen, doch meistens werden sie zurück in den abgeschotteten Staat geschickt. Dort warten Haft, Folter und im schlimmsten Fall die Todesstrafe auf die Flüchtigen. "Wir fordern, dass China den Nordkoreanern die Möglichkeit gibt, um Asyl anzusuchen. Damit sie entweder im Land bleiben oder weiterreisen können", sagt Fang.

Das will auch Richard Skretteberg vom Norwegian Refugee Council, welcher sich um die Betreuung von Flüchtlingen weltweit kümmert. Er war es auch, der die geflohene Lehrerin zu ihrer Geschichte interviewte. Nach ihrer Ankunft in China wurde sie an einen chinesischen Mann verkauft, der sie nach der Geburt ihres Sohnes vor die Tür setzte – ohne Rechte, ohne Perspektiven. "Das passiert immer wieder, da es in China einen Mangel an Frauen gibt – vor allem auf dem Land", sagt Skretteberg. Sexuelle Gewalt, Ausbeutung und Abhängigkeit würden auf viele nordkoreanische Frauen warten.

Ziel: Südostasien oder Südkorea

Doch viele Nordkoreaner nutzen China nur als Transitland auf ihrer Route in eine neue Zukunft. Südostasien ist für die meisten das Ziel – oder das Nachbarland Südkorea, dessen direkte Grenze in den Norden allerdings zu stark bewacht ist. Deshalb versuchen die Flüchtigen in eine südkoreanische Botschaft zu gelangen, um einen Asylantrag zu stellen. In Peking ist das nicht möglich, nach einem Sturm auf die Botschaft verschärfte die chinesische Führung die Sicherheitsvorkehrungen vor dem Gebäude in der Hauptstadt.

Auch die Lehrerin schaffte es schlussendlich mit der Hilfe einer koreanischen Untergrundorganisation, dass sie Papiere und ein Ticket nach Seoul erhielt. "In Südkorea fällt vielen Nordkoreanern die Integration schwer", weiß Skretteberg. Zu neu sei die Welt im Gegensatz zum abgeschotteten Heimatland. "Viele haben noch nie ein Mobiltelefon benutzt oder eine Bankkarte besessen, und sie müssen die Geschichte des Koreakriegs neu lernen", sagt Skretteberg. Auch die Sprache unterscheidet sich mittlerweile: Gibt es im Südkoreanischen Wörter, die dem Englischen entstammen, wird das im Nordkoreanischen strikt abgelehnt.

China könnte sich bewegen

Die Gründe für die Flucht vieler Menschen sind ähnlich: eine schwere Hungersnot im Land, politische Unterdrückung und Arbeitslager, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden. "Wir müssen die Leute davon abhalten, überhaupt erst aus dem Land zu fliehen", sagt Fang. Deshalb müssten zuerst die Straflager in Nordkorea geschlossen werden. "Gleichzeitig muss Peking sich aber seiner Verantwortung bewusst werden und die Menschen als Flüchtlinge anerkennen", so der Menschenrechtsaktivist. Auch Südkorea würde gemeinsam mit den Vereinten Nationen in Gesprächen mit der Führung in Peking stehen.

Eine Bewegung in der Sache könnte laut Fang passieren. Schon lange nicht mehr waren die Beziehungen zwischen China und Nordkorea so abgekühlt. Es gibt sogar Vorwürfe, dass China in den Internet-Ausfall in Nordkorea diese Woche involviert gewesen sein soll. Peking hat das Gefühl, dass der junge Diktator sein Land nicht mehr unter Kontrolle hat. "Das könnte China dazu bringen, seine Flüchtlingspolitik zu ändern", sagt Fang. Skretteberg ist weniger optimistisch: "Peking würde kein USA-freundliches Gesamtkorea an seiner Grenze akzeptieren, deshalb halten sie so lange wie möglich an der Unterstützung von Kim Jong-un fest. (Bianca Blei, derStandard.at, 27.12.2014)