Vieles spricht dafür, dass wir uns in Wendezeiten befinden; das Alte funktioniert nicht mehr so richtig, das Neue ist noch nicht gefunden und etabliert. Aus Netzwerktheorie und Resilienzforschung kennen wir die Eigenschaften solcher Systemübergänge sehr gut, sie sind allgemein gekennzeichnet von stagnierendem Wachstum, Verschwinden von Spielräumen, hoher interner Komplexität und wechselseitigen Abhängigkeiten sowie einer Zunahme von Konflikten um Ressourcen.
Doch das Neue kommt in die Welt nur durch Offenheit, Investment, Experiment, Raum für Ideen und Scheitern. Aber gerade diese Dinge sind es, die in Phasen des Übergangs dem Rasiermesser der Kosteneinsparungen und Streichung der Ermessensausgaben zum Opfer fallen. Wer also investiert dann in die Bedingungen der Erneuerung, wenn keine Spielräume mehr vorhanden sind?
In Ländern wie Deutschland und der Schweiz hat sich in den vergangenen 20 Jahren ein Sektor entwickelt, den es in dieser Form hierzulande nicht gibt und der in diesen Ländern immer mehr zum Motor für Innovations- und Entwicklungsprozesse wurde: der Sektor der gemeinnützigen Stiftungen. 15 Milliarden sind es in Deutschland, 1,2 Milliarden in der Schweiz, die über das gemeinnützige Stiftungswesen jährlich in Projekte in den Bereichen Soziales, Bildung, Forschung, Kultur, Gesundheit und Ökologie investiert werden. In Österreich sind es gerade 20 bis 25 Millionen Euro.
Die Deutschen schütten pro Kopf 183, die Schweizer 160 und die Österreicher armselige drei Euro in Form gemeinnütziger Stiftungen aus. Damit werden hochgradig spannende und innovative Projekte im Bereich Schule, Bildung, Forschung etc. vorangetrieben; nicht zuletzt auch deshalb, weil die gemeinnützigen Stiftungen und ihre Stifter ja nicht der Notnagel für fehlendes Geld im öffentlichen Bereich sind und sein wollen, sondern sehr eigenständige Wege gehen und daher auch in riskantere Projekte investieren, in die ein Öffentlicher oder Privater nicht investieren würde.
Wir stehen angesichts düsterer wirtschaftlicher Prognosen vor einer grundsätzlichen Entscheidung: Wie können wir die enormen Mengen an Bestands- und Rentenkapital, die es gibt, wieder vermehrt in Investitionskapital umwandeln? Wie können wir den Schwung wieder aufnehmen? Wie können wir Arbeitslosigkeit in ihrer doppelten Erscheinung begegnen, in Form von arbeitslosen Menschen und arbeitslosem Bestandskapital? Wie können wir Ressourcenflüsse in den erneuernden, regenerativen Bereichen wie Bildung, Forschung, Kultur, Umwelt, Integration erhöhen?
Mehr Geld für Start-ups und gemeinnützige Aktivitäten sind hier nur zwei Seiten derselben Medaille; es geht darum, wieder Schwung aufzunehmen, Zuversicht zu gewinnen, mehr Geld für die Erkundung des Neuen in Zeiten des Übergangs und der Veränderung freizusetzen. Und natürlich geht es auch darum, dass "Geld" und "Sinn" wieder verstärkt eine Verbindung eingehen müssen, dass Kapital nicht nur ökonomische, sondern auch eine gesellschaftliche Rendite abwerfen muss, damit es sich selber "frisch" halten und seine eigene Existenz rechtfertigen kann.
Wenn heute jemand einem gemeinnützigen Verein spendet, kann er das steuerlich absetzen. Wer heute aus einer gemeinnützigen Stiftung heraus diesem Verein "stiften" möchte, zahlt 25 Prozent an den Staat. Das Stiftungsrecht in Österreich ist mühsam und nicht auf die Etablierung gemeinnütziger Strukturen ausgelegt. Die Verhandlungen um die Steuerreform wären eine historische Chance, hier etwas zu tun, denn Kapital gäbe es genug, und auch an Ideen mangelt es nicht. Es fehlt an Investitionskapital. Gelänge es, Volumina wie in Deutschland und der Schweiz freizusetzen, dann wären das 1,4 Mrd. aus der Zivilgesellschaft für soziale Innovationen; Geld, das dringend benötigt wird, damit Veränderungen einen guten Ausgang nehmen und die notwendigen Erneuerungs- und Entwicklungsprozesse gelingen werden. (Harald Katzmair, DER STANDARD, 24.12.2014)