Der Ottakringer Gymnasiast Josef Gerö (links) warf sich schon 1914 mit seinem FC Libertas lässig in jene Präsidentenpose, die ihn ein Leben lang charakterisieren wird.

Foto: Miriam Gerö

Der Häftling Josef Gerö aus der Sicht eines Gestapo-Fotografen 1941.

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Silvester 1954 - nicht nur ein Staats-, sondern auch ein Volksbegräbnis.

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Die Enkel Thomas und Eva Blimlinger 2014.

Foto: apa/pfarrhofer

Der Gero Jozsef kam am 23. September 1896 dort zur Welt, wo Kakanien - in seiner südosteuropäischen Ausprägung - so richtig bei sich, also sehr durcheinander gewesen ist: in der vielsprachigen, vielethnischen, vielreligiösen Batschka, dem königlich-ungarischen Maria-Theresiopel, zu dem heute auf Serbisch korrekterweise Subotica zu sagen wäre. Gestorben ist er am 28. Dezember 1954 in Wien.

Dazwischen lagen 58 Jahre, in denen das 20. Jahrhundert seine Inwohner mit Krieg und Völkermord so gebeutelt, geschurigelt und malträtiert hat wie kaum ein Jahrhundert zuvor. Miriam Gerö war also betont zurückhaltend, ja beinahe untertreibend, als sie ihrer bemerkenswerten, heuer verfassten Matura-Facharbeit - "Mein Urgroßvater Dr. Josef Gerö" - den schlichten Untertitel gab: "Ein bewegtes Leben als Politiker, Jurist und Sportfunktionär".

Grün-weiße Freiheit

Bewegung kam in dieses Leben schon früh. Vater Michael - im Tuchhandel tätig - übersiedelte mit Gattin Helene nach Wien, wo Sohn Josef in der Gegend rund um den Brunnenmarkt aufwuchs. Behütet genug, um das Gymnasium besuchen zu können. Unbehütet genug, um dort auch mit ballesterischen Umtrieben aufzufallen.

Diese mündeten schließlich 1914 in einer hochoffiziellen Vereinsgründung. Die des Latein hinlänglich mächtigen Buben sammelten sich als FC Libertas, um dem Fußballsport der Reichshaupt- und Residenzstadt ein weiteres Mosaiksteinchen hinzuzufügen. Die Buben waren - Bubenherzen sind oft schwer zu ergründen, aber selten sprunghaft - Rapid-Aficionados; die Libertasfarben folglich Grün-Weiß. Josef Gerö gab den rechten Back mittelmäßig genug, um von dort sofort auch ins Funktionärsfach zu wechseln, wo er bis ans Lebensende brillierte.

Vorerst allerdings rief der Kaiser seine Völker zum Schlachten. Der Maturant geriet schon 1914, keineswegs noch volljährig, auf die Offizierslaufbahn. Volljährig, mit 21 Jahren also, wechselte der Artillerieleutnant das Glaubensbekenntnis von mosaisch auf evangelisch A. B., ins "Christentum light", wie sein Enkel, Thomas Blimlinger, meint.

Der seit 2001 amtierende grüne - und seit Bubentagen grün-weiße - Bezirksvorsteher von Wien-Neubau glaubt, dass der Opa sich solcherart zumindest depperte Sticheleien im Offizierskasino ersparen wollte. Genauere historische Angelegenheiten wären aber am besten bei der Schwester zu erfragen, bei Eva Blimlinger.

Die umtriebige Rektorin der Wiener Kunstakademie, eine Historikerin, hat den Großvater ja schon 2008 in einem Buchbeitrag in den hochkomplexen Kontext des Wiener Fußballs der Zwischenkriegszeit gestellt, in den der Kriegsheimkehrer sich ärmelaufkrempelnd gleich tief hineinstrudelte. Von der Libertas in den erst niederösterreichischen, ab 1923 dann Wiener Verband.

Den Ideologen des streng amateuristischen Arbeitersports begegnete der schon 1921 promovierte Jurist skeptisch. Mit dem ballesterischen Tausendsassa Hugo Meisl, dem Austria-Chef Michael Schwarz, dem Herrn über Rapid, Dionys Schönecker, und all den anderen werkte er nicht bloß an der Professionalisierung, sondern vor allem Internationalisierung des Wiener Fußballs.

1927 wurde er schließlich Präsident des Wiener Verbandes. ÖFB-Präsident war da der hochgradige, illegale Nazi und Juristenkollege Richard Eberstaller, und über allen thronte der in allen Dingen außerhalb des Fußballs eher sozialdemokratisch orientierte Hugo Meisl, ohne den im ballesterischen Europa längst schon nichts mehr lief. Aber eben nur im Fußball.

Politische Rechtssprechung

1933 verkürzte Engelbert Dollfuß Österreich zur Millimetternich'schen Diktatur. Im Jahr darauf zerriss der Bürgerkrieg endgültig das Land, Josef Gerö wechselte von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt ins Justizministerium, wo er schließlich die politische Strafabteilung leitete. Dort war er, sagt Eva Blimlinger, "nicht nur für den Prozess gegen die Dollfuß-Attentäter verantwortlich" - ein Nazi-Kommando hatte vergeblich geputscht, dabei aber Diktator Dollfuß erschossen -, "sondern er führte auch gegen Sozialdemokraten gerichtete Verfahren".

Im März 1938 stand Josef Gerö nicht nur aus diesem Grund ganz oben auf den Gestapo-Listen. Die Nazis folgten ja unerbittlich dem Georg Schönerer, der dem jungen Hitler in Wien einen perfiden Floh ins Ohr gesetzt hat: "Ob Jud', ob Christ ist einerlei - in der Rasse liegt die Schweinerei." Dieses Verdikt traf auch den 1922 geborenen Sohn Heinz, "Mischling ersten Grades", wie es hieß. Ihm bot die Wehrmacht einen, freilich stets fragilen, Schutz. Gleich nach der Matura, dem Vater darin gleich, rückte Heinz also ein und erlitt diesen Schutz übers Kriegsende hinaus bis 1947.

Vater Josef, der Chefankläger gegen die Nazis, kam als "Schutzhaft-Jude" mit dem ersten Transport nach Dachau, wo er gemeinsam mit Leopold Figl, Alfons Gorbach, Viktor Matejka und zahlreichen anderen zentralen Nachkriegspolitikern etwas entwickelte, das man später den "Geist der Lagerstraße" genannt hat. Einen Geist, der Österreich gute Hebammendienste geleistet hat bei der Geburt seiner zweiten Republik.

Gerö kam schon 1939 frei. Unter Umständen, die nicht ganz klar sind. "Die Familiengeschichte", erzählt Eva Blimlinger, "spricht von der Intervention eines hohen italienischen Fußballfunktionärs." Gerö folgte seiner Frau Leopoldine und Tochter Margarethe - die Mutter der Blimlingers - nach Zagreb, wo er nach dem deutschen Einmarsch 1941 neuerlich in Haft genommen wurde.

Anfang April 1945 begann Karl Renner - der im südöstlichen Niederösterreich den Krieg ausgesessen hatte -, die Reste Österreichs um sich zu scharen. Zu diesen gehörte - mit sozialdemokratischem Sanktus, ja auf sozialdemokratischem Ticket - auch Josef Gerö. Als Justizminister oblag ihm die juristische Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen, was in seiner Amtszeit (1945-49, 1952-54) auch tatsächlich erfolgte.

Französische Freunde

Justizminister war Gerö freilich nur auch. Nebenbei übernahm er, wie es in einem Nachruf der Arbeiter-Zeitung 1954 hieß, auch noch quasi das Amt des Sportministers. Er präsidierte dem ÖOC ebenso wie dem ÖFB. Und mit beiden Verbänden versuchte er, nicht nur den Sport wieder auf die internationale Bühne zu heben, sondern mit dem auch das Ganze.

Als am 6. Dezember 1945 das erste Ländermatch nach dem Krieg angepfiffen wurde im bombenversehrten Stadion, war das kein bloßes Fußballspiel. Es war ein Staatsakt, als die Besatzungsmacht Frankreich ihr Team schickte - in dem mit Gustl Jordan und Heini Hiltl auch noch zwei Österreicher standen -, und dieses sich vor den Augen der vier Hochkommissare 1:4 geschlagen gab.

Die alten Freunde aus Frankreich - Fifa-Chef Jules Rimet und Verbandschef Henri Delaunay vor allem - brachten so Österreichs Fußball sehr früh wieder zurück ins internationale Geschäft. Wohl nicht nur aus alter Verbundenheit, sondern in der auch hierzulande geteilten Vermutung, dass in Wien nach wie vor Europas ballesterisches Herz schlage.

Josef Gerö versuchte sich zeit seines dann nur noch kurzen Lebens denn auch als Reanimator des mitteleuropäischen Fußballs. Vehement lobbyierte er für einen europäischen Verband und eigene europäische Bewerbe. Für so etwas also wie den alten Mitropa- und den Svehla-Cup, nur eben unter den neuen Bedingungen des Nachkriegs.

Das gelang dann im Juni 1954. Im Vorfeld der WM in der Schweiz wurde die Uefa aus der Taufe gehoben. Deren Generalsekretär wurde Henri Delaunay, Präsident der Däne Ebbe Schwartz, dessen Vize Josef Gerö, der auch sein Herzensanliegen durchbrachte: den Internationalen Cup für Nationalmannschaften, der - später umbenannt in Dr.-Josef-Gerö-Gedächtniscup - zum Vorläufer der Europameisterschaft wurde. Die freilich kam, so wie die Klubbewerbe, für Österreich leider zu spät, wie Ernst Happel einmal launig - oder nicht launig - geunkt hat.

Josef Gerö erlebte Österreichs ballesterischen Niedergang nicht mehr. Er starb am Ende jenes Jahres, das ihn wohl hoffnungsfroh gestimmt hat, auch wenn mit dem nicht erwartbaren Weltmeister Deutschland die Dinge ein wenig durcheinandergeraten waren. Am Silvestertag wurde nicht nur der Justizminister in einem Staats-, sondern vor allem der Fußballchef in einem richtiggehenden Volksbegräbnis verabschiedet.

Vaters große Schuhe

Die Blimlinger-Kinder mussten den Todestag des Opas noch Jahrzehnte später quasi ausbaden. "Alle Freunde", sagt der grüne Bezirkschef, "waren schon ab 26. in den Bergen, wir sind immer erst am späten 28. zum Ötscher aufgebrochen. Vorher mussten wir ja auf den Döblinger Friedhof." ÖOC und ÖFB legten Kränze nieder. Die Jungen dachten an Tal- und Bergski. Aber nicht nur Onkel Heinz und Oma Leopoldine bestanden auf dem Friedhofsbesuch.

Heinz Gerö, eigentlich im Hockeysport daheim, stieg 1970 in des Vaters Fußstapfen. Dessen Schuhgröße hatte er wohl nicht, aber seine Pranke. Mit Zehner- und Schülerliga legten er und sein Teamchef, Leopold Stastny, die Saat, die 1978 in Córdoba zu ernten war. Nach dem Ernteleiter Karl Sekanina übernahm er den Laden kurz noch einmal und tat dem ÖFB insofern Gutes, als er Beppo Mauhart die Rutsche gelegt hat. Und damit auch die zur vorläufig letzten WM-Teilnahme.

1998, da war die Erinnerung an Heinz Gerö, der neun Jahre zuvor gestorben war, schon am Verblassen. Und dem Josef - dem gewichtigsten Präsidenten, den der ÖFB bislang hatte - legt man am 28. Dezember auch schon längst keine Kränze mehr aufs Grab, aus dem - sagt man - manchmal Rotationsgeräusche gedrungen sind. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, 24.12.2014)