"Speed thrills, but kills": Der auf großflächigen Plakaten am Straßenrand verbreitete Sinnspruch scheint allenfalls die am Straßenrand hockenden Affen zu kümmern. Im städtischen Verkehr Delhis, mit elf Millionen Einwohnern nach Mumbai die zweitgrößte Metropole Indiens, gilt das Gegenteil. Waghalsig, rasant, laut, schrill: anders ist das chaotische Gedrängel aus Fortbewegungsmitteln des 19., 20. und 21. Jahrhunderts kaum vorstellbar. Was auf den Verkehrswegen zu beobachten ist, gilt in mancher Hinsicht für den gesamten Subkontinent mit seinen 1,2 Milliarden Einwohnern: "Wir haben Autos, noch ehe wir die Straßen haben", bringt eine indische Journalistin die rasante Entwicklung auf den Punkt.

Auch wenn die weltweite Krise und viele hausgemachte Probleme wie Korruption und überbordende Bürokratie für heftige Rückschläge und kräftige Bremsspuren sorgen: Das Land ist auf seinem Weg in die Moderne nicht aufzuhalten. Während manche Regionen und Branchen boomen, verharren andere allerding im Dornröschenschlaf. Delhi, die Metropole im Norden des Landes gehört zu den am schnellsten wachsenden Städten der Welt. Das Wirtschaftswachstum Indiens musste zwar in den letzten Jahren einen deutlichen Dämpfer hinnehmen, lag aber im letzten Quartal mit 5,3 Prozent über dem Trend der vergangenen Jahre. Die wachsende Mittelschicht sorgt in vielen Branchen für Aufbruchsstimmung.

40 Millionen Passagiere zählte man 2014 am Flughafen Indira Gandhi. Die Zahl der Fluggäste wächst kräftig.
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Noch ist Indien etwa das Land, wo weltweit am wenigsten geflogen wird. Nur fünf Prozent der Einheimischen besteigen einmal pro Jahr ein Flugzeug. Zum Vergleich: In China sind es 50 Prozent. Die Zahlen der Flugreisenden steigt aber stetig, auch dank der internationalen Besucher. 16 Millionen Passagiere zählte man 2006 nur am Flughafen Indira Gandhi Airport, 2014 wurden daraus 40 Millionen (fast doppelt so viele wie am Wiener Flughafen, Anm.), sagt Marcel Hungerbuehler. Der Schweizer ist als COO dafür zuständig, dass der mittlerweile privatisierte Flughafen entsprechend mitwächst. Delhi Airport galt unter Experten lange als schrottreif. Das hat sich mittlerweile geändert. 2,8 Milliarden Dollar wurden zwischen 2006 und 2010 investiert. 55 Airlines, darunter auch die heimische AUA steuern den Flughafen an. "2016 soll man hier 115 Millionen Passagiere abfertigen können", sagt Hungerbuehler.

Noch mehr als die Flugreise, gehört das Auto zum steigenden Wohlstand. Im letzten Jahr wurden rund zweieinhalb Millionen Neuwagen verkauft. 2005 waren es noch 1,11 Millionen. Damit ist Indien hinter China der am zweitschnellsten wachsende Auto-Markt der Welt. Eine echte Herausforderung für Megacities wie Delhi, wo versucht wird, durch Ausbau der Infrastruktur dem Verkehrschaos Herr zu werden. Strampelnde Rischkafahrer, knatternde Mopeds und dreirädrige Tuk-Tuk kurven schneidig zwischen Autos und Bussen. Zuweilen passt nicht mehr als ein Blatt Papier zwischen zwei Fahrzeuge. Fahrradfahrer queren todesmutig die mehrspurigen Straßen, beladen mit Gütern, die hierzulande nur als Gefahrengut durchgehen und das eine oder andere Pferdegespann bahnt sich in der Rushhour seinen Weg.

Viel Verkehr in Delhi, zur Rushhour ist es noch um um einiges belebter
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Ohne waghalsige Manöver und ohne die Hupe würde das gar nicht funktionieren. Zumindest für die meisten Verkehrsteilnehmer. "Österreich? Wir hatten ein Fahrtraining mit Österreichern", erklärt Adliken. Was der für eine Ausflugsfahrt gebuchte Fahrer des Hotels da gelernt hat? "Behutsam fahren". Selbstverständlich würde er das heute beherzigen, sagt er vergnügt, während er wort- und gestenreich erklärt, welche Monumente der Fahrgast eines Blickes würdigen sollte. Die windschiefen hüttenähnlichen Behausungen oder verwahrlosten Gestalten, die sich neben brandneuen Autos am Wegrand ducken, gehören da selbstverständlich nicht dazu. Die schockierende Nachbarschaft von Überfluss und Mangel mag so manchen Besucher erschrecken, für Einheimische ist sie Alltag. Immerhin sind noch zwei Drittel der Bevölkerung bettelarm.

Doch auch Sehenswürdigkeiten gibt es mehr als genug, sowohl in Delhi, als auch anderswo. Nicht nur mit beeindruckender Flora und Fauna wirbt man um Gäste. Die indische Regierung investiert in Infrastruktur und wirbt offensiv um ausländische Investoren, die im Land zum Beispiel gegen Steuerbegünstigungen Hotels errichten sollen. Die Angebote für ein zahlungskräftiges Publikum steigen. Meditation am Loklak Lake, Tigerschauen im GirForest oder Golf Spielen im traditionsreichen Royal Calcutta Golf Club sollen den Besuchern das Geldausgeben leicht machen. Was den Tourismus betrifft, ist man unter anderem auch um eine Imagekorrektur bemüht. Der Ruf des Reiselandes ist nach sexuellen Übergriffen auf Touristinnen und nach der brutalen Gruppenvergewaltigung einer jungen indischen Studentin angeschlagen.

Ohne waghalsige Manöver und ohne die Hupe ist hier kein Fortkommen.
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In den ersten drei Monaten des Vorjahres gab es einen kräftigen Besucherknick. Ein Viertel weniger – vor allem weibliche - Gäste sind damals nach Indien gekommen. In der Gesamtjahresbilanz ging sich mit 6,8 Millionen Touristen dennoch ein leichtes Plus von 4,1 Prozent gegenüber dem Jahr 2012 aus. Man werde alles tun, damit sich so etwas nicht wiederholt, sagt Tourismusminister Mahesh Sharma vor ausländischen Journalisten: "Wir werden solche Vorfälle nicht tolerieren." Ein Bündel an Maßnahmen wie eine Helpline, eine Liste mit Dos and Dont’s für einreisende Gäste und mehr Sicherheit in Taxis ist in Ausarbeitung. Profitieren sollen davon auch die Einheimischen, denn auch im Inland sorgen die Vorfälle für heftige Diskussionen und Empörung.

Mehr Sicherheit hätte auch Adar zu schätzen gewusst. Der israelische Wissenschafter erlebte bei seinem Konferenz-Besuch in Delhi Abenteuer, auf die er gerne verzichtet hätte. Obwohl er sich bei seiner Ankunft am Flughafen – wie von offizieller Seite angeraten – ein Prepaid-Taxi organisiert hatte (die Preise sind offiziell festgelegt, Anm.), versuchte ihn sein Taxifahrer in ein anderes Hotel als das bereits gebuchte umzuleiten. Der junge Mann landete bei Touristoffices und Straßensperren, wo er jeweils erfuhr, dass sein Hotel geschlossen wäre. "Es war wie in einem Theaterstück. Erst als mich die Organisatoren der Konferenz an Ort und Stelle abgeholt haben, war der Spuk beendet." Indien sei ein anstrengendes Reiseland, sagt Adar, selbst in China müsse man weniger auf der Hut sein. Wohl wissend, dass dort wo höchste Armut auf Wohlstand, und traditionelle Weltbilder auf weltoffene Bürger treffen, solche Folgen nicht so einfach aus der Welt zu schaffen sein werden. Für Hotelchauffeur Adliken ist die Sache hingegen ganz einfach: "Ein ordentliches (durch elektronische Schranken gesichertes, Anm.) Hotel buchen. Das schickt auch vertrauenswürdige Fahrer." Solche wie ihn eben. (rebu, derStandard.at, 27.12.2014)