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Die Gier nach Wachstum lässt auf Geheiß der Staatslenker die Druckerpressen der Notenbanken rotieren. Doch dieses System stößt an seine Grenzen, warnen Experten.

Foto: REUTERS/Gary Cameron

Der gute Ruf der Banken ist eines der Opfer der Weltfinanzkrise. Seit dem Kollaps von Lehman Brothers im September 2008 sind Kredit- institute in der Öffentlichkeit kaum besser angeschrieben als Drogenbanden und Bordelle. Aber im vergangenen Jahr hat sich die Debatte weiterentwickelt: Nicht nur Banken und Banker sind Zielscheibe von Angriffen, sondern das Bankwesen an sich. Das Überraschende: Die Fundamentalkritik, die einst nur aus der linksalternativen und rechtspopulistischen Ecke erscholl, kommt immer öfter aus der politischen Mitte.

Banken sind so alt wie der Kapitalismus oder der moderne Staat. Irgendwann im späten Mittelalter oder der frühen Neuzeit gaben Kaufleute ihre Gold- und Silbermünzen Menschen ihres Vertrauens und erhielten dafür Papierzettel mit Wertangabe und Siegel. Immer mehr Gold und Silber häufte sich in diesen frühen Banken an, kaum jemand holte sein Gold wieder ab.

Da hatte einer der Bankiers eine Idee: Er schrieb neue Goldzettel und verlieh sie für Zinsen einem anderen Kaufmann, der mit ihnen neue Waren kaufen konnte. Damit hatte sich die Geldmenge verdoppelt: Der Anleger dachte, sein Gold sei in der Bank, aber der Kreditnehmer ging damit inzwischen auf Einkaufstour.

Das war die Geburt des fraktionellen Reservebankwesens - oder Giralgeldsystems - das bis heute unser Finanzsystem prägt. Fraktionell deshalb, weil keine Bank je alles borgen würde, was es als Einlage hat. Denn wenn der Eigentümer kommt und sein Geld zurückverlangt, muss er ihn auszahlen können. Der kluge Bankier hält so viel, dass er immer genügend Bargeld in der Kasse hat. Da er aber weiß, dass niemals alles gleichzeitig abgehoben wird, kann er einen gewissen Teil verborgen.

Aber ganz sicher konnte er sich nicht sein: Das Sinken eines Schiff, dessen Ladung auf Pump gekauft worden ist, oder auch nur ein böses Gerücht über einen solchen Verlust hat oft ausgereicht, damit die Sparer die Bank stürmten und ihr Gold zurückforderten. Das Potenzial zu solchen Paniken macht das Banksystem von jeher instabil - und lässt den Ruf nach Alternativen erschallen. Es sind angesehene Ökonomen und Kommentatoren, die eine Revolution in der Finanzwelt in den Raum stellen. Sie reagieren damit auf die Verwerfungen der jüngsten Weltfinanzkrise, die gezeigt haben, dass das Bankensystem mit seinem Giralgeld eine Zeitbombe ist.

Zwei aktuelle Bücher bestätigen diesen Trend: Martin Wolf, Starkolumnist der Financial Times, präsentiert in The Shifts and the Shocks den sogenannten Chicago-Plan aus den 1930er-Jahren als Problemlöser. Dieser Plan forderte im Kern, dass Banken das Geld, das sie als Einlage erhalten, auch tatsächlich aufbewahren müssen, und nur die Zentralbank Geld für Kredite schafft. Nachdem er von der Roosevelt-Regierung verworfen wurde, brachten ihn 2012 zwei IWF-Ökonomen wieder ins Spiel - und nun auch Wolf. "Ein System wie das heutige, das darauf beruht, dass gewinnsuchende Institutionen Geld als Nebenprodukt einer oft grotesk unverantwortlichen Kreditvergabe schaffen, ist unwiederbringlich instabil", schreibt Wolf. Geld soll nur von den Zentralbanken kommen, die Banken werden auf Dienstleister wie Paypal und Vermittler von Anlageprodukten reduziert.

Privatisierung der Geldpolitik

In Deutschland wiederum ist es der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank Thomas Mayer, der in Die Neue Ordnung des Geldes für eine Abkehr vom traditionellen Bankwesen eintritt. Mayer unterscheidet zwischen Aktivgeld, das aus dem Tauschwesen entstanden ist, und dem Passivgeld, das Banken durch Kreditvergabe schöpfen. Sein Modell ist eine Art Privatisierung der Geldpolitik, wo Staaten oder Banken ihre eigene Währung schaffen können und sich die vertrauenswürdigste durchsetzt. Das kann auch Bitcoin sein, die neue Währung aus dem Internet.

Hier wird es politisch spannend. Denn Mayers Buch trägt nicht zufällig fast den gleichen Titel wie das im Frühjahr erschienene Buch Geld: Die neuen Spielregeln des Globalisierungskritikers Christian Felber. Auch Felber setzt sich dafür ein, dass Banken aufhören, Geld zu schöpfen.

Der Mainstream verbündet sich hier mit linken Finanzrevolutionären, und sie wiederum finden Gemeinsamkeiten mit jenen rechten, rechtsextremen und oft auch antisemitischen Verschwörungstheoretikern, die im Bankwesen ein perfides System der Ausbeutung durch gierige und gefährliche Eliten sehen, die sich etwa alljährlich bei der Bilderberger-Konferenz treffen.

Aber sind Banken wirklich so böse? Und wenn ja, haben jetzt einstige Söldner der Hochfinanz diese dunkle Seite erkannt?

Nicht unbedingt. Das Giralgeldsystem hat lange genug ganz gut funktioniert. Dass Banken durch die ihnen zugeschriebene Geldschöpfung hohe Gewinne machen, lässt sich durch einen Blick auf ihre Bilanzen widerlegen. Die Zinsspanne macht nur selten den Großteil ihrer Profite aus - die kommen eher von Handelsgewinnen und Provisionen - und wird durch Verwaltungskosten und Risikovorsorge oft aufgefressen. Die wundersame Geldvermehrung geschieht nicht in den Bankbüchern selbst, sondern außerhalb, bei den Kreditnehmern, die das geborgte Geld wieder in den Kreislauf bringen. Das ist auch die Quelle der Instabilität.

Die andere ist direkt beim Staat, der zwei Gründe hat, ungebremst Geld über die von ihm kontrollierte Notenbank zu schöpfen. Zum einem der Hunger nach Einnahmen, der statt durch Steuern durch die Druckerpresse gedeckt wird. Dies ist das Rezept für Hyperinflation, die im vergangenen Jahrhundert immer wieder aufgetreten ist. In hochentwickelten Industriestaaten ist diese Gefahr aber so gut wie gebannt.

Gier nach Wachstum

Dafür ist eine andere Form der monetären Disziplinlosigkeit zur chronischen Krankheit unserer Zeit geworden. Die Gier demokratischer Staaten nach Wachstum samt Vollbeschäftigung und einem stabilen Bankensystem. Der Goldstandard, der rund hundert Jahre die Wirtschaft beherrschte, kann diese nicht garantieren. Wenn Banken krachen, muss jemand zumindest vorübergehend unbeschränkt Geld drucken, um das Vertrauen wieder herzustellen. Und in der Rezession müssen die Zinsen fallen, egal ob die Golddeckung das zulässt. Das geht nur über "Fiat-Geld", also Papiergeld ohne verbindliche Golddeckung.

Es gab sehr gute Gründe, den Goldstandard Schritt für Schritt aufzugeben. Als US-Präsident Richard Nixon ihn im August 1971 beerdigte, war er nur noch eine Last. Die Bankenpaniken gehörten in seiner Blütezeit zum Alltag, ebenso wie Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen. Aber die Folge seines Ablebens war ein Anwachsen von Schuldenbergen, die zum Treibsand für das Weltfinanzsystem wird.

Zu dessen Schutz ließen sich Regierungen immer neue Dinge einfallen: eine Einlagensicherung, die Panikreaktion unter den kleinen Sparern verhindern soll, steuerfinanzierte Rettungsaktionen für die Großen, und schließlich eine immer lockerere Geldpolitik, damit die Konjunktur nicht ins Stocken kommt. Von Alan Greenspans einst gefeierter, heute heftig kritisierter Fed-Politik der niedrigen Zinsen führt eine direkte Linie zu EZB-Präsident Mario Draghi, der den Euro um jeden Preis zu retten bereit ist.

Um die Banken vor sich selbst zu schützen, werden ihnen immer neue Beschränkungen auferlegt, mischen sich die Aufseher immer weiter ins ureigene Bankgeschäft ein. Sie ziehen damit die Lehren aus der jüngsten Krise, machen damit aber auch deutlich, wie wenig sie an die Festigkeit des Finanzsystems glauben. 2014 war der Endpunkt einer Jahrzehnte langen Entwicklung: In den Industriestaaten liegt der Zinssatz auf null, aber die Kreditnachfrage springt nicht an. Deshalb haben auch die Banken praktisch aufgehört, Geld zu schöpfen - zum Schaden der gesamten Wirtschaft.

Es ist kein Wunder, dass immer mehr Stimmen den Status quo infrage stellen und ein radikales Umdenken fordern. Aber Wolf, Mayer, Felber und Co betonen eines: Ihre Modelle sind Zukunftsmusik. Die letzte Krise reichte nicht aus, um die Revolution auszulösen. (Eric Frey, DER STANDARD, 27.12.2014)