Energisch und erfindungsreich: Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin (1777- 1866)

Foto: Veuve Clicquot

Die Drehbewegung aus dem Handgelenk muss kurz und präzis sein. Die schräg nach unten gelagerte Champagnerflasche wird an ihrem Boden gepackt und um ein Zwölftel nach rechts gedreht, als würde sie um eine Stunde vorgestellt. Man nennt es "le remuage" (Rütteln, Drehen). Die Technik hat die Champagnerherstellung vor 200 Jahren revolutioniert. Für die zweite Gärung, bei der die Kohlensäure entsteht, wird Hefe zugegeben, diese wird durch das "remuage" im Flaschenhals gesammelt, damit der Wein klar wird.

Die Erfinderin dieser Technik war Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin, besser bekannt als "Veuve Clicquot". Die kleine energische Frau eines Textil- und Weinhändlers hatte die Unternehmung nach seinem Tod 1805 übernommen und weitergeführt. Sie war gerade mal 27 Jahre alt, verstand nicht viel von Schaumwein und trat in eine absolute Männerdomäne ein. "Man muss sich das vorstellen - zu jener Zeit durfte eine Französin keine Geschäfte betreiben, ja nicht einmal ein Bankkonto führen", erzählt Isabelle Pierre, Archivarin bei der heutigen Prestigemarke Veuve Clicquot (auf Deutsch: Witwe Clicquot). "Die einzige Ausnahme galt für Witwen; sie durften den Betrieb ihres verstorbenen Gatten weiterführen."

Barbe-Nicole verstand kaum etwas von Champagner. "Aber sie wohnte der Traubenernte bei, kostete den Wein, entwarf eine elegantere Flaschenform, schuf die erste Flaschenetikette, erfand den Roséchampagner und entdeckte schließlich das entscheidende Flaschendrehen, meint Isabelle Perrier am Eingang zu den 24 Kilometer langen Kellerlagern. Hier reift der Schampus bei einer konstanten Temperatur von zehn bis zwölf Grad mindestens drei Jahre lang.

Außerdem gelang es Barbe-Nicole nach den Napoleonischen Kriegen 1814 als Erster, eine Schiffsladung Champagner über Kopenhagen an den russischen Zarenhof in Petersburg zu schicken. Das war der Startschuss für Clicquots Erfolgsstory. Barbe-Nicole baute das Champagnergeschäft 60 Jahre lang zu einem der ersten internationalen Branchenkonzerne aus (heute gehört er zu LVMH). Als sie 1866 starb, nannte man sie in der Branche (heute 350 Marken, Gesamtumsatz 4,4 Milliarden Euro) nur noch die "Grande Dame de la Champagne".

Auch ebnete sie einer langen Reihe von Frauen - genauer gesagt: Witwen - den Weg ins Geschäft. 1860 übernahm in Reims Louise Pommery das Erbe ihres Mannes, eines kleinen Champagnerproduzenten, der vor allem nach England exportierte. Den Briten war der französische Edeltropfen, der bis zu 200 Gramm Zucker pro Flasche enthielt und manchmal fast so dick wie Marmelade war, aber zu süß. Louise erfand deshalb für Queen Victoria den "Brut", den schwach zuckerhaltigen Champagner.

Die Dritte der legendären Champagnerwitwen war Mathilde Emilie Perrier. Sie stieg 1887 nach dem Tod ihres Mannes in das Geschäft mit dem doppelt gegärten Traubensaft ein. Als Erste nahm sie eine der später verbreiteten Betriebsfusionen der Branche vor und legte die Grundlage für Laurent-Perrier, eine der heute meistverkauften Champagnermarken.

Bald konnten nicht nur Witwen Firmenchefin sein. Viele Marken wahrten indes den Zusatz "Veuve" - vielleicht auch als Verbeugung vor dem weiblichen Talent, Begonnenes weiterzuführen und zu entwickeln. "Im Unterschied zu vielen selbstherrlichen Firmengründern, die ihren Nachlass kaum je regelten, bereiteten die Champagnerwitwen zu Lebzeiten einen geordneten und zukunftsträchtigen Übergang vor", meint Isabelle Pierre.

Von Frauen für Frauen

Heute werden mehrere angesehene Champagnerhäuser durch Frauen wie Vitalie Taittinger oder Nathalie Vranken geleitet. Oder durch Witwen wie Carol Duval-Leroy. Sie übernahm das Unternehmen nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1991 und gab ihr ein fast feminines Image, so etwa mit den zwei Champagnerlinien "Femme de Champagne" und "Fleur de Champagne" (Frauen- und Blumenchampagner). Heute verbindet sie Qualität mit einem ökologischen Ansatz, was in der Champagne-Gegend auch nicht selbstverständlich ist.

Damit ist die gebürtige Belgierin aber erfolgreicher als ihre männlichen Kollegen, hat sie den Umsatz ihres Betriebes doch verfünffacht. Trotzdem ist ihr der Erfolg nicht zu Kopfe gestiegen: Carol Duval-Leroy bereitet ihre drei Kinder sukzessive auf die Übernahme des Unternehmens vor. Den 1991 eingeführten Zusatz "Veuve" zum Firmennamen hat sie längst gestrichen. "Nach einem Jahr hörte ich damit auf, da mir das Wort Witwe morbid vorkam", lacht die alles andere als traurige Winzerin. (Stefan Brändle aus Reims, DER STANDARD, 27.12.2014)