Von Scherzartikelvertretern, Tanzlehrern und anderen armen Hunden: "Eine Taube sitzt auf einem Zweig ..." punktet mit blasser Bilderpracht.

Foto: Polyfilm

Sucht nach der Plansequenz: Regisseur Roy Andersson.

Foto: Polyfilm

Wien - Die Taube, die dem Film den Titel gibt, sitzt ausgestopft und etwas zerfleddert auf einem Zweiglein in einem Museumsschaukasten. Darauf folgen drei kleine Szenen mit unglücklichen Todesfällen. Schon ist man gut eingestimmt aufs Universum des Roy Andersson, zu dem jetzt auch ein Goldener Löwe gehört.

Mit Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach / En duva satt på en gren och funderade på tillvaron hat der schwedische Regisseur seinen fünften Kinofilm (seit 1970) gedreht, der zugleich eine Trilogie von Episodenfilmen beschließt. Charakteristisch ist dabei, dass sich jede Episode in einer einzigen langen Einstellung abspielt. Das ergibt eine Sammlung von leicht verfremdet nachgestellten, absurd-tragikomischen Alltagsbegebenheiten samt surrealen Auswüchsen, die allesamt von der schrecklichen Lächerlichkeit des menschlichen Daseins künden. In Eine Taube gehören zum entsprechenden Personal zwei erfolglose Scherzartikelvertreter, eine unglücklich verliebte Tanzlehrerin oder der Schwedenkönig Karl XII. (1682-1718), der auf dem Weg in den Krieg nach Russland schnell in einer heutigen Kneipe nach dem Rechten sieht.

STANDARD: Sie haben 2010 mit der Arbeit an diesem Film begonnen ...

Andersson: ... ja, mit dem Drehen!

STANDARD: Das heißt, der eigentliche Anfang liegt noch weiter zurück?

Andersson: Ja, ich habe mir nach der Fertigstellung von Das jüngste Gewitter (2007) gedacht, dass ich gerne eine Trilogie machen würde. Also einen dritten Film nach diesem und Songs from The Second Floor (2000). Die Zahl drei hat schließlich Gewicht.

STANDARD: Welche der 39 Szenen hatten Sie zuerst im Kopf?

Andersson: Ich dachte zuerst an Karl XII. Eine andere Idee, die es schon sehr lange gibt, ist die von der grotesken Tötungsmaschine am Ende. Eine Inspirationsquelle dafür ist der "Sizilianische Bulle", ein dort im 6. vorchristlichen Jahrhundert gebräuchliches Folterinstrument: Menschen wurden in einen Bronzebullen gesperrt, darunter wurde Feuer gemacht. Ihre Schreie sollen wie die Schreie eines Stiers geklungen haben.

STANDARD: Die Szene, in der Ihre Version davon als ein kolonialistisches Folterwerkzeug auftaucht, ist auch die einzige im Film, wo es einen Schuss-Gegenschuss gibt, man diesen riesigen Kupferkessel und die Todgeweihten sieht, und dann im Umschnitt die feine Gesellschaft, die darauf blickt. Wieso brechen Sie gerade hier Ihre Regel, jede Episode in eine Einstellung zu fassen?

Andersson: Ich habe eigentlich versucht, es zu verschleiern. Aber tatsächlich fand ich den Gegenschuss hier unumgänglich. Allerdings sieht man zuerst schon die Spiegelung des Geschehens in jener Glastüre, aus der später die Zuschauer treten - es gibt also eine Art Vorwegnahme, es ist etwas anderes als ein simpler Schuss-Gegenschuss.

STANDARD: Warum haben Sie überhaupt entschieden, sich von der üblichen filmischen Auflösung einer Szene zu verabschieden?

Andersson: Meine Philosophie lautet, nicht zu schneiden und die Kamera nicht zu bewegen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Ich glaube, das hat etwas mit meiner Vorliebe für die Malerei zu tun, und da wieder für Bilder, die ein ganzes Geschehen abbilden, die quasi Panoramaaufnahmen und keine Close-ups sind. Zur Filmsprache gehören heute viele Schnitte, aber ich halte das für ein Fehlen von Zeit, Geld, Geduld und auch Talent. Zu Chaplin haben sie auch irgendwann gesagt, seine Art, seine Geschichten in großformatigen, statischen Einstellungen zu erzählen, sei überholt. Aber diese bewährte Form hat sich doch als die beste herausgestellt.

STANDARD: Ihr Faible für Slapstick geht zurück auf die Stummfilmklassiker?

Andersson: Oh ja! Nach meinem sehr erfolgreichen Debüt Eine schwedische Liebesgeschichte (1970) bin ich ja mit meinem zweiten Spielfilm Giliap (1975) ziemlich eingefahren. Auch finanziell. Ich habe dann meine eigene Firma Studio 24 gegründet und Werbespots gedreht. Viele davon waren für Versicherungsgesellschaften, und bei einer Versicherung geht es ja darum, dass einem ein Missgeschick passiert, etwas kaputtgeht oder runterfällt - letztlich hat es viel mit der Schwerkraft zu tun, und darum haben sich dann auch viele meiner Spots gedreht: welche Probleme der Menschheit daraus erwachsen. Und von Schwerkraft erzählt man besser in einer ungeschnittenen Totalen, wenn man schneidet, ist es nicht mehr Schwerkraft, sondern Montage!

STANDARD: Weil Sie die Malerei erwähnen: Wovon ist eigentlich Ihre blasse Farbpalette inspiriert?

Andersson: Ich ziehe es vor, wenn der Hautton einheitlich ist - das wirkt dann maskenhaft, so wie beim japanischen Nô-Theater oder beim klassischen Weißclown.

STANDARD: Was muss man als Nichtschwedin eigentlich über Karl XII. wissen?

Andersson: Er war wie andere Monarchen seiner Zeit nur Gott Rechenschaft schuldig, ansonsten war er der absolute Herrscher. Dieses Konzept ist mir sehr zuwider. Ein idiotischer Mythos. Karl ist heute eine Symbolfigur der schwedischen Rechten, diese wiederum ist nicht zuletzt homophob. Aber Karl war selbst homosexuell. Nur ist das kaum bekannt, obwohl es sogar in einer Ausstellung vorkam. Ich wollte den Mythos dieses Machokriegers zerstören.

STANDARD: Sie haben erstmals digital gedreht - wie war diese Erfahrung?

Andersson: Oh, ich bin total happy! Analog zu drehen fühlt sich an wie Steinzeit! Ich bin ein Freund der Tiefenschärfe, das lässt sich digital leichter bewerkstelligen. Und ich übe meine Plansequenzen zwar viel, wiederhole sie aber auch oft vor der Kamera. Dieses Mal haben wir eine Szene 87 Mal gedreht. Aber der größte Vorteil ist, dass man nicht bis zum nächsten Tag warten muss, um die entwickelten Aufnahmen anzuschauen. Das spart so viel Zeit! Für mich war es eine gute Entscheidung.

STANDARD: Haben Sie früher auch so viele Wiederholungen gedreht?

Andersson: Ja, mein Rekord liegt bei 117 - für einen aus einer Aufnahme bestehenden Werbespot. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 27./28.12.2014)