Wiener-Philharmoniker-Geschäftsführer Harald Krumpöck (li.) und Vorstand Andreas Großbauer (re.).

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie haben Ihr Amt als neuer Vorstand und Geschäftsführer im September angetreten. Beide gehören Sie einer jüngeren Generation an; was macht für Sie heute die Identität des Orchesters aus?

Großbauer: Da spielt einiges zusammen. Wenn man sich die letzten Preise anschaut, die das Orchester bekommen hat - den Karajan-Preis, den Nilsson-Preis -, ist in der Begründung immer der Wiener Klang vorgekommen. Unser Klang hat sich über die Generationen erhalten und wurde immer wieder von Lehrern an ihre Schüler weitergegeben. Und natürlich ist unsere Struktur sehr wichtig, die Selbstverwaltung: Das Orchester entscheidet bei uns selbst, was, wie viel, wo und mit wem es spielt. Demokratie ist nicht einfach, aber das Beste.

Krumpöck: Wichtig ist uns auch das familiäre Verhältnis zu den Dirigenten und Solisten, mit denen wir zusammenarbeiten, aber auch zum Abonnementpublikum. Und was außerdem hervorzuheben ist, ist die Verwurzelung unserer Musiziertradition in der musikalischen Geschichte Österreichs und Mitteleuropas.

STANDARD: Jetzt haben Sie sich beide stark auf die Traditionen berufen. Wie steht es aber mit Veränderungen?

Großbauer: Wenn man alte Aufnahmen mit neueren vergleicht, kann man eine Entwicklung erkennen. Vielleicht nicht so krass wie bei Originalklangensembles. Wenn man sich zum Beispiel Aufnahmen mit Harnoncourt anhört, geht das natürlich in eine bestimmte Richtung - aber nie so stark wie bei einem Alte-Musik-Ensemble.

Krumpöck: Gesellschaftliche Veränderungen passieren natürlich auch bei uns. Wir sind heute viel internationaler als noch vor ein paar Jahren. Und dass nun Frauen bei uns im Orchester mitspielen, zeigt, dass die gesellschaftliche Normalität bei uns angekommen ist. Auch wenn es länger gedauert hat als anderswo.

STANDARD: Traditionell kannte die Arbeit der Philharmoniker drei Säulen: die Dienste als Staatsopernorchester, den Abonnementzyklus sowie Gastspielreisen. Die Konzerte darüber hinaus sind inzwischen in ihrer Zahl geradezu explodiert. Besteht die Gefahr der Inflation?

Großbauer: Wir befinden uns ja in einem komplexen Geflecht aus Plattenfirmen und Intendanten. Die Philharmoniker sind Gott sei Dank sehr begehrt, und die Nachfrage ist so groß, dass wir sie niemals bedienen könnten. Wir sind da bereits an unseren Grenzen angelangt und denken darüber nach, ob es aus künstlerischer Hygiene nicht besser wäre, die Tätigkeit ein bisschen zurückzuschrauben.

STANDARD: Das Neujahrskonzert ist sicherlich die wichtigste musikalische Visitenkarte der Nation und des Orchesters. Was ist der Unterschied zwischen "leichter" Wiener Musik und dem "ernsten" Repertoire?

Großbauer: Bei der Strauss-Familie ist es ein sehr musikantischer Ansatz, der ganz direkt aus dieser Musik spricht. Auch das sind verschiedene Aspekte: Auf der einen Seite ist das Klangliche, auf der anderen das Tänzerische. Es gibt in dieser Musik ein Drehen, ein Prickeln - und die Menschen spüren das, gerade am 1. Jänner sind sie offen für eine so positive Musik, die so viel Kraft gibt. Das ist sicher eines der Erfolgsrezepte beim Neujahrskonzert.

Krumpöck: Gerade die Musik der Strauss-Dynastie hat so ein hohes Niveau, dass man diese alte Trennung eigentlich gar nicht mehr aufrechterhalten kann. Das haben ja auch die zeitgenössischen Komponisten so gesehen, etwa Richard Wagner, für den Strauss Vater "der musikalischste Schädel, der mir je untergekommen ist", war.

STANDARD: Jahrzehntelang wurde die nationalsozialistische Vergangenheit des Orchesters nur zögerlich beim Namen genannt und beschönigt. Inzwischen steht Ihr Archiv der Forschung offen. Wird das intern noch kontroversiell diskutiert?

Großbauer: Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch keine Angst mehr vor diesem Thema, sondern es herrscht große Offenheit. Dadurch, dass jetzt eine jüngere Generation am Ruder ist, hat man mehr Abstand zur damaligen Zeit, und alle Kollegen sind daran interessiert, dieser Thematik so offen wie möglich entgegenzutreten. Das war natürlich ein Prozess. Es hat Zeiten gegeben, wo alles unter den Teppich gekehrt wurde. Wir wollten mit dem Nilsson-Preis einen ganz klaren Schritt setzen: dass wir eine Million Dollar dazu verwenden, das Archiv zu modernisieren und ihm vor allem passende Räumlichkeiten zu geben.

STANDARD: Was wünschen Sie sich von 2015?

Großbauer: Dass auch im politischen Sinne dem Musikland Österreich, wie es von außen gesehen wird, alle Ehre gemacht wird. Die Realität ist nicht ganz so, wie sie im Ausland gesehen wird. Wir haben durchaus Sorge, was den Musikunterricht betrifft - qualitativ und quantitativ. Ich hoffe, man erkennt, wie wichtig Musik ist. Es geht nicht immer nur um Profitabilität, sondern auch darum, etwas miteinander zu tun, zu singen, zu musizieren. Es wäre uns ein großes Anliegen, dass man das erkennt, fördert und unterstützt.

Krumpöck: Das unterschreibe ich völlig, habe aber auch noch einen Wunsch. Wenn man sieht, mit wie viel Hingabe in allen Institutionen des Musiklebens in diesem Land gearbeitet wird, aber die öffentliche Hand, die diese Leistungen nicht in diesem Maße wertschätzt, sogar noch durch höhere Umsatzsteuern an den Einnahmen mitschneiden möchte - das ist nicht das, was das Musikland Österreich ausmacht. Ich finde es falsch, wenn immer wieder auf irgendwelche Umwegrentabilitäten hingewiesen wird. Man sollte stattdessen den Wert anerkennen, den die Kultur an sich darstellt. (Daniel Ender, DER STANDARD, 27./28.12.2014)