Das Jahr 1968 prägte Stanislaw Baranczak fürs ganze Leben: die antisemitische Hetzkampagne der Polnischen Vereinten Arbeiterpartei und die polnische Studentenrevolte gegen Willkür des Regimes. In diesem Jahr publizierte der damals 22-Jährige seinen ersten Gedichtband. In Der Gesichtskorrektor klangen bereits die Themen an, die den introvertierten, aber mutigen Intellektuellen sein ganzes Leben lang begleiten sollten. Wache Kritik und Demaskierung der Lüge müssten Richtlinie des Dichtens sein, schrieb Baranczak. In der "Neuen Welle" schlossen sich Dichter der ersten Nachkriegsgeneration in Polen zusammen, für die Poesie immer auch Protest bedeutete, gegen das Regime, aber auch gegen die unveränderbare Realität. Das Ventil für die Zwangslage, sich entweder moralisch zu verbiegen oder aber vollends zu verzweifeln, war das Absurde.

Baranczak engagierte sich auch jederzeit in der antikommunistischen Opposition. Als nach den blutig niedergeschlagenen Arbeiterprotesten an der polnischen Ostküste 1970 viele Familien in Not gerieten, gründete er zusammen mit anderen das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR). 1977 verhängte die Partei ein Publikationsverbot über ihn und strengte ein Disziplinarverfahren an der Universität an.

Baranczak, Dozent für Linguistik, wurde aus politischen Gründen entlassen. Zwar erhielt er 1980 nach Intervention der Solidarnosc seine Stelle an der Universität zurück, doch als er ein Jahr später zu Vorträgen in den USA war, rief General Jaruzelski das Kriegsrecht in Polen aus - Baranczak konnte nicht mehr zurück. Die Harvard University suchte gerade nach einem Slawistik-Dozenten. 1984 bekam er eine Vollzeitprofessur. Der Kontakt zur Heimat in Polen brach nie ab. Baranczak galt als produktiver Übersetzer aus dem Englischen. Neben Shakespeare übersetzte er Gedichte Bob Dylans. Am 26. Dezember starb der 68-Jährige an Parkinson in seinem Haus bei Boston. (Gabriele Lesser aus Warschau, DER STANDARD, 30.12.2014)