Irmgard Griss bringt sich jetzt selbst als Präsidentschaftskandidatin ins Spiel. Sie tut das (in der Kronen Zeitung) durchaus originell: Sie warte auf das "achte Weltwunder". Dass sich nämlich SPÖ und ÖVP auf sie als unabhängige Kandidatin einigen würden. Dann würde sie darüber nachdenken.

Irmgard Griss war Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, einer breiteren Öffentlichkeit wurde sie als Leiterin der Untersuchungskommission zur Causa Hypo Alpe Adria bekannt, deren Abschlussbericht sie im Dezember 2014 vorlegte. Die Idee, dass Griss eine geeignete, wenn nicht gar ideale Präsidentschaftskandidatin wäre, kam in diesen Wochen vielen. Sie ist erfreulich unprätentiös und hat einen erfrischend direkten Zugang zur Politik, deren Verfehlungen sie anhand des Hypo-Desasters klar anführte und analysierte. Ihre eigene "Fassungslosigkeit" über die konzertierte Geldvernichtung bei der Hypo übertrug sich auf jene, die ihr zuhörten oder den Bericht der Kommission studierten.

Griss legte präzise die Hilflosigkeit offen, mit der die verantwortlichen Politiker dem Hypo-Desaster gegenüberstanden, und sie machte anschaulich, wie dilettantisch schließlich noch Milliarden in das Hypo-Grab geschaufelt wurden. Der Abschlussbericht ihrer Kommission war erstklassige Arbeit, darüber sind sich Experten einig, das musste schließlich auch die Politik eingestehen. Die Schlussfolgerungen, die sie aus dem Systemversagen gezogen hat, sollten ausreichen, eine derartige Fehlleistung in Zukunft zu verhindern - sollte die Politik überhaupt willens und in der Lage sein, die Analyse der Griss-Kommission zu beherzigen und ihre Lehren daraus zu ziehen.

Abgesehen davon: Die 68-jährige Steirerin ist eine patente Frau, sympathisch und charismatisch, sie ist eloquent und redet nicht herum, sie hat einen nüchternen und pragmatischen Zugang zur Politik. Und sie hat bewiesen, dass sie sich von dieser nicht vereinnahmen lässt. Sie ist in unserer politischen Landschaft eine positive Ausnahmeerscheinung. Es war daher kaum überraschend, dass sich viele sagten: Die wäre doch eine gute Präsidentschaftskandidatin.

Sie selbst ist offenbar nicht abgeneigt. Das "achte Weltwunder" vorausgesetzt, die Einigung von SPÖ und ÖVP auf eine gemeinsame Kandidatin. Griss hält das für "außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit". Tatsächlich hat es in der Zweiten Republik noch kein einziges Mal einen gemeinsamen Vorschlag der beiden großkoalitionären Regierungsparteien für die Bundespräsidentenwahl gegeben. Da steht das parteipolitische Denken immer noch über dem Abwägen, was der Republik guttun könnte.

Griss ist parteipolitisch noch nicht angeeckt, aber sie wird wohl eher dem bürgerlichen Lager zugerechnet. Das wird es der SPÖ schwermachen, diese Option in Betracht zu ziehen. (Abgesehen davon, dass im sozialdemokratischen Lager bereits Rudolf Hundstorfer in den Startlöchern scharrt.) Und eines ist auch ganz klar: Griss wäre keine angenehme Bundespräsidentin, die sich aus allem heraushielte und nur den Grüßaugust mimte. Von ihr dürfte man dort klare Worte erwarten, wo sie angebracht sind. Dass das auch einmal richtig wehtun kann (und soll), hat sie vorgezeigt. Und genau das ist ein triftiger Grund, warum sich die Parteien über ihre Feigheit erheben und das warme, sichere Nest verlassen sollten. Sie könnten einmal etwas Mutiges probieren. (Michael Völker, DER STANDARD, 29.12.2014)