
Dichter für Mensch, Ding und Tier: Dominik Steiger.
Wien - Eines der wichtigsten Bücher Dominik Steigers erschien bereits 1967 und trug den herzerfrischend großspurigen Titel Die verbesserte große sozialistische Oktoberrevolution. Das Werk bestand aus gerade einmal 19 kurzen Kapiteln, und jedes von ihnen war verspielter und naiver als das unmittelbar vorhergehende. Wenn Zar Nikolaus II. das Esszimmer zu betreten wünschte, ermunterten ihn die Stiegen: "Steig auf uns drauf!" Die Esszimmertür bat: "Drück mich!" Schon sprang sie vor dem Potentaten auf und machte den Weg frei zur Zarin.
Etwas von dieser aufmunternden Bereitwilligkeit zeichnet beinahe alle Schriften Steigers aus. Den Autor muss man sich innerhalb der komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse, die die heimische Literatur ausmachen, am ehesten als angeheirateten Cousin der Wiener Gruppe vorstellen. Ein gerngesehener Gast von kindlichem Gemüt; ein eleganter Dandy mit bescheidenem Auftreten, im Bunde mit der Logik des Traums. Ab den 1990er-Jahren veröffentlichte Steiger mit schöner Regelmäßigkeit Sammlungen von Prosaskizzen. Eine solche erschien unter dem Titel Spuk & Geflunker auch posthum, nur wenige Monate nach des Dichters Tod am 12. Jänner 2014, im Klagenfurter Ritter-Verlag.
Man geht nicht fehl in der Annahme, in dem Geflunker-Buch eine Art Opus summum der Steiger'schen Artistik zu erblicken. In ihm währt jeder Gedankenspuk nicht länger als eine Buchseite. Fast hat es den Anschein, Steiger ließ seinen Erfindungsgeist von der Leine, um abzubrechen, sobald die Einfälle flau zu werden drohten.
Steigers Dichtung passt in das Erklärungsschema der "Kleinen Literatur" (Deleuze/Guattari). Sie entstammt der Vorstellungskraft eines "großen Gernekleins". Insofern ist der Schweizer Robert Walser ein weiterer Verwandter. Auch Walser gab sich bevorzugt mit Kleinigkeiten ab, sobald er erzählerisch vor die Haustüre trat.
Bei Steiger genießen Tiere und Gegenstände eine Wertschätzung, die hinter der Liebe zum Menschlichen nicht zurücksteht. Ein Löwe, der blaue Tinte getrunken hat, folgt dem Erzähler-Ich "lammfromm". Man unterhält sich von Mensch zu Tier "mit verständigen gesten und blicken" (immer in Kleinschreibung). Fehlwörter und logische Abbiegungen führen hinein in nicht für möglich gehaltene Konstellationen. Die grammatikalischen Verhältnisse werden behutsam gelockert. "doch denk daran: dein mund sei klein, dein reiner hochgemuter after sprecher." Man begegnet: Inuitdichtern, Salatgärtnern, gestrandeten Holländern. Fürwahr ein Blick ins Paradies. Demnächst erscheint bei Ritter der Materialband: Kosmöschen Steiger, herausgegeben von Thomas Eder. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 30.12.2014)