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Das Stück "Berlusputin" im Teatr.doc ärgert Putin.
Moskau - Dass das wichtigste Off-Theater Russlands bald aus seinen angestammten Räumlichkeiten im Moskauer Stadtzentrum geworfen würde, hatte sich abgezeichnet. Ein geordneter Auszug stand unmittelbar bevor, doch Anfang Januar wollte Teatr.doc noch drei Stücke in der angestammten Location zeigen. Für den 4. Jänner war eine letzte Aufführung der Erfolgsproduktion Berlusputin geplant. Diese Komödie basiert auf L' anomalo bicefalo von Dario Fo und handelt von einem Gehirntransfer zwischen Wladimir Putin und Silvio Berlusconi.
Seit am 30. 12. jedoch Polizisten eine Filmvorführung im Theaterkeller sprengten, ist Teatr.doc, das sich in minimalistischen Inszenierungen mit dem Hier und Jetzt beschäftigt, in seiner Existenz bedroht: Etwa 20 Ordnungshüter, die gemeinsam mit Beamten des Kulturministeriums anmarschiert waren, gaben zunächst vor, nach einer Bombe zu suchen. Anschließend konzentrierten sie sich auf vermeintlichen "Extremismus" im vorgeführten ukrainischen Dokumentarfilm, verwüsteten die Räumlichkeiten und zerstörten Requisiten.
In den vergangenen Jahren waren es vor allem Rechtsradikale gewesen, die gegen kritische Kulturinstitutionen in Russlands agitiert hatten und sporadisch auch bei Teatr.doc aufgetaucht waren. Der Polizeieinsatz vom Dienstag stellt ein Novum dar - in diesem Stil waren Behörden seit dem Zusammenbruch der UdSSR nie gegen Kulturinstitutionen vorgegangen.
Gleichzeitig kommt die "Aktion" nicht ganz unerwartet: Einerseits sind unabhängige Institutionen Russlands Regierenden zunehmend ein Dorn im Auge. Andererseits soll es Teatr.doc mit einem sehr mächtigen Gegner zu tun haben: Ohne dass es dafür konkrete Beweise gäbe, wird spekuliert, dass hinter dem nunmehrigen Ungemach Wjatscheslaw Wolodin stehen könnte, der einflussreiche Vizechef von Putins Präsidentschaftskanzlei, der für die Zivilgesellschaft "zuständig" ist.
Wolodins Name wurde zuletzt auch im Zusammenhang mit einer Kampagne gegen den unabhängigen Fernsehsender TV Doschd genannt, der Anfang 2014 aus praktisch allen Kabelnetzen gekickt wurde und dem das Überleben durch neue Gesetze zusätzlich schwer gemacht wird: Nach der Kündigung seines Mietvertrags muss der Sender derzeit aus einer geheimen Moskauer Wohnung ausstrahlen - potenzielle Vermieter haben Angst vor Repressalien.
Von seiner politischen Relevanz her lässt sich Teatr.doc, in dessen Keller knapp 70 Besucher Platz finden, freilich nicht mit einem Fernsehsender vergleichen. Dennoch bekam auch das Off-Theater Probleme: Im Oktober war bekannt geworden, dass die Stadt Moskau den Mietvertrag ohne Vorwarnung kündigt. Man warf dem Theater vor, einen Eingang verlegt zu haben. Allerdings war dies auf Anordnung der Feuerpolizei passiert, die anderenfalls die Betriebsbewilligung hätte versagen können. Interventionsversuche bei der Stadtverwaltung blieben erfolglos.
"Menschen, die sich für uns einsetzten, erklärten, dass man auf Moskauer Ebene nichts machen könne. Die Order sei von weiter oben gekommen", erzählt Teatr.doc-Regisseurin Anastasija Patlaj und spielt damit auf die Präsidentschaftskanzlei an.
Welche Theaterproduktion die Mächtigen erzürnt haben könnte, bleibt indes unklar. In Frage käme, so Patlaj, Berlusputin. Die Off-Bühne hatte sich aber auch mit dem Fall des Moskauer Wirtschaftsprüfers Sergej Magnitski beschäftigt und im Stück Eine Stunde 18 Minuten sein Sterben in Untersuchungshaft dokumentiert. Zuletzt hatte sich das Theater für den ukrainischen Filmregisseur Oleg Senzow engagiert, der derzeit wegen Terrorismusverdacht im Moskauer Geheimdienstgefängnis Lefortowo einsitzt. Teatr.doc hatte die szenische Lesung eines Senzow-Stücks veranstaltet. Der Versuch, den ukrainischen Dokumentarfilm Stärker als Waffen (2014) vorzuführen, war am Dienstag durch die staatliche Inszenierung einer Bombendrohung vereitelt worden. (Herwig C. Höller, DER STANDARD, 2.1.2015)