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Die Ärzteschaft möchte eine baldige Einigung ihrer Arbeitszeiten.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Die laufende Diskussion um die längst überfällige Normalisierung der Arbeitszeit für eine ganze Berufsgruppe, nämlich die Ärzteschaft, nimmt Formen an, die nicht mehr erträglich sind.

Das EU-Gesetz ...

Worum es geht: Österreich ist Mitglied der EU. Das bedeutet auch, bestimmte gesetzliche Vorgaben der EU zu akzeptieren. Eines dieser Gesetze betrifft die Arbeitszeiten der Ärzte. Die wichtigsten der "neuen" Regeln kurz dargelegt:

  • die maximale Wochenarbeitszeit sollte 48 Stunden betragen
  • die maximale Arbeitszeit in einer Woche in begründeten Fällen und zeitlich limitiert: 60 Stunden
  • die maximale Dienstzeit in einem Stück sollte nicht länger als 25 Stunden betragen.
  • Dienste, die eine ständige Anwesenheit am Arbeitsplatz erfordern sind als Arbeitszeit zu rechnen, nicht mehr wie bisher als Bereitschaftsdienst.

... und die Realität

Derzeit schaut die Realität bei Ärzten allerdings anders aus: Die Wochenarbeitszeit beträgt bis zu 72 Stunden, ein Dienst (Tag-Nacht-Tag) dauert bis zu 32 Stunden durchgehend. Wenn man diese Dienste "verkürzt" und jetzt nach 25 Stunden heimgeht, werden oft die "fehlenden" Stunden am Folgetag als Minusstunden gerechnet. Weitere Details bitte beim Spitalsarzt Ihres Vertrauens zu erfragen.

Die Verträge für Vollzeit lauten aber für 40 Stunden. Die auffallende Differenz zur Realität ergibt sich aus einer Mehrleistung der Mediziner, die seit Jahrzehnten institutionalisiert wurde. In anderen Branchen wurde die Arbeitszeit verkürzt, hier ein Vergleich: Bis 1959 gab es noch eine 48-Stunden-Woche, ab da wurden die Dienstzeiten sukzessive gekürzt, seit 1975 gilt die 40-Stunden-Arbeitswoche, in einigen Branchen wurde außerdem 1985 auf eine 38,5-Stunden-Woche umgestellt.

Letzteres ist allerdings nicht das Ziel der Ärzteschaft, sondern ein Arbeitszeitgesetz, das mit jenem von 1954 vergleichbar ist. Das entsprechende Gesetz der EU wurde 2003 beschlossen und ist seit 2004 in Kraft. Theoretisch, denn in Österreich wurde es niemals umgesetzt, die politisch Verantwortlichen haben es ignoriert, trotz verschiedentlicher Warnungen von Ärztevertretern.

EU-Strafzahlungen bei Verzug

Aus diesem Grund erging 2013/14 ein EuGH-Urteil, das Österreich verpflichtet, mit 1. Jänner 2015 eben dieses Gesetz der EU umzusetzen. Unverzüglich. Übrigens mit Strafzahlungen an Brüssel von fünf Millionen Euro pro Monat im Fall eines Verzugs.

In anderen Ländern, insbesondere Deutschland, wurde es zwar auch nicht ohne Schwierigkeiten, aber schon 2005 umgesetzt. Und in Österreich? Da sucht die Politik Tricks und Auswege, um uns, die Ärzteschaft, dazu zu bringen, freiwillig unter Übernahme des vollen Risikos, die bisherige Regelung einfach weiterzuschreiben. Wir sollen unter dem harmlosen Titel "Opt-out" unterschreiben, freiwillig ein gültiges Gesetz der EU zu verbiegen, bis es bricht.

Es ist schon begreiflich, dass die Träger der Verantwortung einige Wochen vor dem 1. Jänner 2015 nervös werden. Es ist aber auch begreiflich, dass die Träger der Arbeitsleistung nun ihre Zustimmung zu einer Weiterführung eines in der Substanz unerträglichen Zustandes verweigern. Man hatte zehn Jahre lang Zeit, sich auf die Situation einzustellen. Man hatte einen vollen Pool an Arbeitskräften auf dem Arbeitsmarkt. Es erscheint aber auch als Schieflage und legt den Verdacht einer gewissen Willkür nahe, wenn bei einer großen Menge arbeitsloser Mediziner die Leute "mit Job" im Spital schon damals ausgesprochen überbordend Überstunden geleistet haben.

Ärzte wandern ab

In der Zwischenzeit hat sich die Situation geändert. Die Bedingungen in benachbarten Ländern sind deutlich besser. Daher wandern unsere Leute ab. Das ist ein Problem, denn alleine Deutschland könnte bis circa 2030 alle Absolventen aller österreichischen Medizin-Universitäten aufnehmen. Schon jetzt verlässt die Hälfte unserer Mediziner sofort nach dem Studium das Land.

Die Politik will das nicht hören, nicht sehen, nicht darüber sprechen. Ihre Lösung: Eine in der Form unsinnige neue Medizin-Universität, die im Moment nichts anderes ist als das teuerste Wahlplakat Mitteleuropas für einen amtierenden Landeshauptmann. Unsinnig, weil der erste Facharzt nach Studium an dieser Universität circa 2025 zu erwarten ist. Unsinnig, weil die Zahl der Studienplätze österreichweit damit nicht einmal erhöht wurde. Die Studenten dieser Uni studieren derzeit in Graz. Aber einen Vorstand gibt’s schon.

Der Verantwortliche in Oberösterreich, Landeshauptmann Josef Pühringer, redet nicht wirklich ernsthaft mit den Ärzten. Im Gegenteil, er pokert. Denn er ist der Meinung, es braucht mehr Daten und Fakten, um zu verhandeln. Und das kann erfahrungsgemäß dauern. Nun, in Wahrheit liegen alle Daten bereits auf seinem Schreibtisch.

Hauptsache streiten

Auch in anderen Bundesländern spielt die Politik Machtspiele und verlässt sich auf die bisher traditionellen Interessenunterschiede innerhalb der Ärzteschaft und man beginnt plakativ mit den ebenso traditionellen wie unsinnigen Interessenkonflikten zwischen Pflege und Ärzteschaft zu kokettieren. Dass die Pflege ohnehin ähnlich gelagerte Schwierigkeiten zu bewältigen hat, interessiert die Politik auch nicht. Ich behaupte, das ist für die Politik auch irrelevant. Hauptsache wir beginnen zu streiten.

Im aktuellen persönlichen Brief des Landeshauptmannes an alle angestellten Ärzte wird mit kreativ interpretierten Halbwahrheiten versucht, den Wunsch nach unserer Zustimmung zu einer Fortschreibung der bisherigen Vorgangsweise zu transportieren. Der allgemeine Umgang mit unseren Wünschen nach einer vernünftigen Arbeitszeit wird ignoriert. Im Gegenteil, es wird von verschiedenen Seiten an unsere Loyalität den Patienten gegenüber appelliert.

Unsere Loyalität den Patienten gegenüber ist nicht geschmälert. Das gehört zu unserem Job und zu unserer Leidenschaft. Dies in Frage zu stellen ist, in Betrachtung unserer Arbeitsleistung über jede übliche Stundengrenze hinaus, eine Zumutung.

Zehn Jahre versäumte Zeit

Weiters wird damit argumentiert, dass es Zeit benötige, eine Lösung zu verhandeln. Allerdings: die Politik hat zehn Jahre lang versäumt, sich auf dieses EU-Gesetz einzustellen. Man wird doch nicht im Ernst annehmen, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine vernünftige Regelung verhandelt sein wird? Zumal ja die Idee besteht, eine Gesamtlösung für Pflege und Ärzteschaft zu finden. Wer auch nur ein wenig von der noch komplizierteren Lage bei unseren Partnern von der Pflege weiß, der wird das schlicht nicht glauben.

Ein positiver Aspekt zeigt sich jedoch bereits angesichts dieser Situation: Je öfter die Verantwortlichen uns allen das Gefühl geben, als Jonglierbälle benützt zu werden, desto einiger werden wir derzeit. Alle zusammen werden wir doch noch einmal zum "Medizinball" und mit dem jongliert es sich dann nicht so leicht.

Ernsthafte Verhandlungen, bitte!

Ich fordere die Politik nicht nur in Oberösterreich auf, die beschämenden Verhaltensweisen der Ärzteschaft gegenüber aufzugeben. Wir haben das Desaster nicht verursacht, ebenso wenig die Patienten, denen wir uns viel mehr verpflichtet fühlen als allgemein in der Bevölkerung wahrgenommen wird.

Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen auf, das deutlich zu artikulieren. Ich bitte unsere Patienten, unser Anliegen nach vernünftigen Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Ich fordere den Landeshauptmann auf, sich mit dem Gesundheitsreferenten und dem Finanzreferenten zusammenzusetzen und sofort seine Ideen zu diskutieren und mit der Ärzteschaft ernsthaft zu reden.

Andernfalls wird sich an der Abwanderung vieler Kolleginnen und Kollegen nichts ändern. Die bisher vorliegenden Angebote sind nämlich weder attraktiv noch fair. Und aktuell die Umsetzung des Arbeitszeitsgesetzes nach EU-Regel zu verweigern, wie es Landeshauptmann Pühringer plant, ist ein Skandal und inakzeptabel. (Michael Dolezal, derStandard.at, 7.1.2015)