"Es ist das Suchen, das das Finden verunmöglicht": Paul Watzlawick als Vortragender.

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In Unwahrheit hat jede prominente Schreiberei ihre Mode. Vor allem eine Schreiberei, die Zeitgeist beschreibt. Den richtigen Zeitgeist, wohlgemerkt, der auch zeitgleich gelesen wird. Oder doch lieber den, der auch noch nach seiner Zeit gelesen wird? Weil er Bestand hat, Stil hat, doch nicht nur eine kurze Modeerscheinung ist? Und Stil - wer definiert den nun? Aristoteles meinte dazu sinngemäß: "Was Peter über Paul sagt, sagt viel über Peter und manches über Paul." Womit wir also bei Paul wären: Paul Watzlawick.

Medien belabelten ihn als "Weltkärntner", "Wirklichkeitsforscher" und "Pop-Bestseller unter den Philosophen". Er war systemisch-konstruktivistischer Psychotherapeut, "polyglotter Vortragender" und "Vielschreiber weltweit". Schlachtete heilige Kühe der Orthodoxie, war aber stets auf Konventionen bedacht; sah aus wie ein Filmstar, liebte die Durchschnittsitalienerin in Extremsituationen und hätte gerne einen sibirischen Tiger als Gefährten gehabt. Er war Massenstar und eigentlich auf der Suche nach dem Zen-Satori. Ein materiell genügsamer Einzelgänger mit hohen intellektuellen Ansprüchen, der Todesangst im Krieg, ein mystisches Durchbruchserlebnis danach, Zufallsglück und Lebenskrise erfährt. Der ausgezeichnet und angefeindet wird. Der Speisekarten und Bücherwidmungen sammelte. War er Mode, oder wurde er Stil?

"Man kann nicht nicht kommunizieren", hat er in den 60er-Jahren geschrieben. "Wie wirklich ist die Wirklichkeit [2. Ordnung]" in den 70ern. Die bestgesellte "Anleitung zum Unglücklichsein" mit dem Hammer des Nachbarn in den 80ern. Jede Zeit hat ihre Aufgabe, heißt es. Was war die Aufgabe von Watzlawicks Zeit, hat er doch mit seiner Schreiberei mindestens einen Nerv der Zeit getroffen. Was ist die Aufgabe unserer Zeit heute? Wie geht das - mit dem Nerv treffen? Was war Watzlawick für ein Mensch, dass er das geschafft hat?

Am Anfang ein Aufschrei

Das bewegte Schicksal des Villachers beginnt am 25. Juli 1921 in Kärnten mit einem Aufschrei. Pauli ist ein gesundes Geschwisterchen für Maria, welche die ersten Jahre unendlich eifersüchtig auf den jüngeren Bruder ist, der von Mutter Emy gestillt wird, bis er reden kann. Einen Ödipus-Komplex habe er, wird der Familientherapeut später witzeln. Der Vater - er stammt aus dem Böhmerwald - wird als Bankdirektor nach Wien berufen. Doch die Krise kommt, die Filiale wird geschlossen, und die junge Familie geht im Jahr 1928 zurück nach Kärnten. Pauli lernt von seinem Deutschlehrer in Villach die Freude an der Sprache kennen und macht das Dachbodenkammerl zu seinem Leserefugium. Die Schule mag er gar nicht; er maturiert 1939 mit Auszeichnung, wird gleich danach dem Reichsarbeitsdienst zugeteilt, und dann geht es in den 2. Weltkrieg. Mit der Flak kommt der Stabsgefreite bis nach Le Havre, wo er erfährt, dass der Vater - schließlich ohne Arbeit und damit Lebenswillen - an Tuberkulose gestorben ist. Sohn Watzlawick reagiert auf den Verlust mit Haarausfall.

Todesangst im Gestapokeller

Über München, Wien und Griechenland erreicht er mit seiner Kompanie 1943 Süditalien. Er hat den Wehrmachtsdolmetsch gemacht und fernimmatrikuliert das Medizinstudium an der Universität Wien. Beim Verhör von gefangengenommenen Alliierten gewinnt er 1944 zunehmend Verständnis für die jungen Soldaten und beginnt unvollständig zu übersetzen - zum "Vorteil des Feindes" und zum "Nachteil des deutschen Volkes". Er wird von der Gestapo verhaftet und in einem Militärgefängnis in Stuttgart festgehalten; denn da waren auch noch die regimekritischen Briefe an die denunzierte Mutter ... Und lernt die Angst vor dem Totgeschlagenwerden kennen.

Durch die Hilfe seines Vorgesetzten kann er gegen Kriegsende frei- und heil nach Villach kommen. Dort trifft der orientierungslose Sprachversierte auf die Briten, die das Haus der Familie besetzen, ihn als Dolmetsch anheuern und nach Italien mitnehmen. Hier überkommt ihn das Erlebnis, das im Nachklang des schrecklichen Krieges zum Leitmotiv seines Lebens werden wird - er erfährt ein mystisches Durchbruchserlebnis, das er oft in seinen Büchern andeutet: "Das Erlebnis der Todesnähe - ein Gefühl des Friedens und der Stimmigkeit, das man vorher nie erlebt hat. Jener Punkt, an dem wir alle tatsächlich die Einheit zwischen ,innen' und ,außen' wahrnehmen. In dem Augenblick, in dem man beginnt, diese Erfahrung zu beschreiben, zu klassifizieren oder zu begründen, hat man sie zerstört."

Neben seiner Arbeit als Assistent des Leiters der Interpol im Territorio libero di Trieste, in die er "hineinrutscht", studiert Watzlawick an der Ca' Foscari in Venedig ab 1946 Philosophie und moderne Sprachen; sein Wunschstudium Medizin in Wien ist ihm nicht möglich. Bei den Polizeiverhören macht er die Erfahrung, dass ihm Menschen "Geständnisse machten, und ich wusste nicht, warum, denn es lag ja gar nicht im Interesse des Betreffenden. Es passierte irgendwie, durch die Weise, wie ich mit ihnen sprach, ganz ohne Drohungen. Einfach, weil ich ganz gut kommunizieren kann", so der künftige Kommunikationswissenschafter, der in seinem Buch "Menschliche Kommunikation" die fünf Axiome derselben formulieren wird.

1950 bringt ihn ein Platzregen ans C.-G.-Jung-Institut in Zürich, wo er sein Analytikerdiplom als Psychotherapeut absolvieren wird. Er erlebt die Arbeit mit Elektroschocks in der Psychiatrie, schreibt über "Dostojewski und die Freiheit" und geht für die Lehranalyse in die Filmhauptstadt Rom zu Ernst Bernhard, dem Analytiker von Federico Fellini. Er entdeckt sein Innenleben und die römische Frauenwelt; das Geld für den Lebensunterhalt verdient er sich bei der Forestry Division der FAO (Food and Agriculture Association), indem er "in Afrika Bäume zählt" - wie Mutter Emy, mit der Paul zeit ihres Leben im engen Briefkontakt steht, wortwitzig der Familie erzählt.

"Geh nach Indien zu den Parsen", rät ihm 1954 ein jüdischer Arzt - und Paul besteigt mit 33 Jahren ein Schiff nach Bombay, um dort seine Praxis zu eröffnen. Was nicht klappt. Mit einer völlig neuen Sichtweise zu den Swamis, der Bekanntschaft von Nehru und Indira Gandhi sowie einem völlig neuen Wahrheitsbegriff von Jiddhu Krishnamurti im Gepäck kommt er zurück nach Europa. Besucht Vorlesungen bei Viktor Frankl in Wien und untersucht eine Fernheilung des Padre Pio in Italien. Sein Geld verdient er am Goethe-Institut in München, bis er 1957 nach San Salvador berufen wird, um an der Universität Psychodynamik nach Sigmund Freud zu lehren; um das Zen weiter zu studieren und die salvadorianische Damenwelt zu erobern.

Als es in Zentralamerika genug desselben wird, schaut Watzlawick auf dem Weg zurück in die Heimat in den USA vorbei. Er landet bald am Mental Research Institute im kalifornischen Palo Alto, wo er sich 1960 der Ketzerei anschließt und seine zweite Heimat finden wird: Er wendet sich von der Analyserichtung ab und lernt beim Psychiater Don D. Jackson, beim Anthropologen Gregory Bateson, vom genialen Hypnosespezialisten Milton Erickson und vom Wiener Kybernetiker und Konstruktivisten Heinz von Foerster - seinen "Giganten" - völlig neue Sichtweisen kennen. Er wagt einen völligen Neustart.

"Es gibt gestörte Beziehungen, aber nicht gestörte Individuen", lernt er. In maximal zehn Stunden werden er und seine Kollegen am Brief Therapy Center Menschen von ihren Leiden befreien. Watzlawick beginnt zu schreiben und wird unerwartet Erfolg haben. 1965 stirbt seine Mutter, was ein schmerzhafter Schlag für ihn ist. Er beginnt in Stanford zu unterrichten und geht mit der Zeit auf Vortragsreisen in die ganze Welt.

Krise und Zen-Erkenntnis

1976 fällt der Junggeselle in eine schwere Lebenskrise und entscheidet sich, zu heiraten. In den Jahren seines erfolgreichsten Buches folgt die Scheidung. Es entstehen "Die Möglichkeit des Andersseins", "Gebrauchsanweisung für Amerika" und "Vom Schlechten des Guten". Watzlawick wird heftig angefeindet: dass er als Wissenschafter Populärbücher schreibt, dass er mit seinen paradoxen Interventionen Patienten manipuliere und als Kurzzeittherapeut oberflächlich arbeite; dass er als Konstruktivist ein werteloser Nihilist sei. Was ihn sehr trifft. "Von der ,wirklichen' Wirklichkeit [2. Ordnung] können wir bestenfalls wissen, was sie nicht ist", ist Watzlawick trotzdem überzeugt.

Mit zunehmenden Jahren sucht er ein "Gefühl des Stimmens, nicht das Erkennen des Sinns". Täglich praktiziert er seit Indien das Yoga, übt das Wu wei. "Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks" soll der Titel seines letzten Buches - eines Romans - lauten. Sein Leben des Wandels und der Ziele mündet schließlich in der Erkenntnis, dass es "das Suchen ist, das das Finden verhindert". Katzenaugen und Klavierkonzerte sind es, die ihn berühren. Die Augenblicke der Zeitlosigkeit. Wenige Monate vor seinem Tod muss er aus Gesundheitsgründen aus seinem Büro am MRI ausziehen. Er stirbt am 31. März 2007 beim Zähneputzen am Abend an Herzversagen. Sein Leben lang war er Österreicher geblieben. Ja, und nun zu Peter - zu Ihnen: Was ist Ihr Reading aus dieser Vita? (Andrea Köhler-Ludescher , DER STANDARD, 3.1.2015)