Wien - Das Shakespeare-Jahr ist abgelaufen (450. Geburtstag des britischen Dramatikers), aber die Aufführungen seiner Stücke werden bleiben. Und das ist gewiss eine Untertreibung. Shakespeares Stücke bilden das Fundament der neuzeitlichen westlichen Dramatik. Theaterhäuser laben sich begierig am umfänglichen Werk des Meisters aus Stratford-upon-Avon. Er ist die Butter, die Marmelade und das Brot zugleich.
Und dabei ist vieles in den insgesamt 38 erhaltenen Dramen gar nicht so einfach zu verstehen. Zumindest hat, wer die reichen Anspielungen und Verweise in den Dichtungen nicht erkennt, nur das halbe Vergnügen. "Was man wissen muss, um Shakespeare zu verstehen" - das hat bereits 1970 der US-Autor Isaac Asimov in seinem monumentalen zweibändigen Guide to Shakespeare zusammengetragen (1500 Seiten). Davon wiederum hat nun der Alexander-Verlag Berlin zwölf Essays zu den hierzulande am häufigsten aufgeführten Stücken in einem neuen, eigenen Band zugänglich gemacht. Eine Heldentat. Einem Pulk an jungen Übersetzerinnen und Übersetzern ist es gelungen, die pfiffige Sprache Asimovs so klar und direkt, wie es der Autor in all seinem Schreiben stets beabsichtigt hat, ins Deutsche zu übertragen.
Isaac Asimov (1920-1992), Sohn russischer Einwanderer in Brooklyn, war ein Arbeitstier ähnlich wie sein Held Shakespeare. Mehr als 400 Bücher hat er veröffentlicht, und das auf verschiedenen Gebieten. Bekannt wurde der Charakterkopf mit dem wilden Backenbart vor allem als Science-Fiction- und Kriminalautor; besondere Bedeutung erlangte sein Foundation-Zyklus, eine Erzählreihe, in der er den Untergang eines galaktischen Imperiums nachzeichnet sowie dessen Neuaufbau; es umspannt einen Zeitraum von 20.000 Jahren.
Asimov gehörte auch zum Beraterstab des Star Trek-Films. Im Brotberuf war Asimov Biochemieprofessor in Boston. Erst später hat er sich in Shakespeares Kosmos vertieft und in der Folge dessen Werk auf fundierte wie praktikable Weise aufgeschlüsselt.
Shakespeares Welt, so der Titel der deutschen Ausgabe, ist, so könnte man sagen, ein gewichtiges Rätsellösungsheft (600 Seiten). Die vielen kleinen Fragezeichen, die einem Shakespeare-Publikum heute begegnen können - Asimov löst sie in weisen Erläuterungen. Warum etwa trifft am Beginn von Viel Lärm um nichts ausgerechnet ein Don Pedro von Aragonien in Messina ein? Warum wird nicht der ohnehin volljährige, also regierungsfähige Prinz Hamlet König und erspart sich den Ärger mit dem Stiefvater? Warum überhaupt Dänemark, und gab es König Lear wirklich?
Unlogisches wird plausibel
Asimov macht viele der im ersten Anschein unlogischen Handlungselemente oder widersprüchlichen Formulierungen plausibel. Die "moon's sphere" aus dem Sommernachtstraum beispielsweise rührt von einer überkommenen astronomischen Vorstellung der Griechen her, der Mond hätte für sich eine eigene Sphäre.
Formulierungen, die uns heute entweder gar nicht augenfällig sind oder zumindest verwunderlich scheinen, macht Asimov - stets ausgehend von zweisprachig angeführten Stückzitaten (Übersetzung: Frank Günther) - durch die Entdeckung kulturhistorischer Referenzen lesbar, indem er etwa Bezüge zu damals populären englischen Balladen oder zum alten Volksglauben herstellt.
Der Autor liefert "historischen" Kontext, der meist von Mythen und Sagen verbrämt ist, legt Quellen offen, beispielsweise die Novellen des Giovanni Battista Giraldi (Othello) oder Geoffrey of Monmouths Geschichte der Könige Britanniens (König Lear). Und manchmal gibt selbst Asimov auf, dann heißt es einfach: "Wir werden es nie erfahren." Oder: "Uns kann das beim Lesen [...], ehrlich gesagt, auch egal sein."
Kleine Fehler in Asimovs fabelhaftem Buch hat der Verlag ausgewiesen korrigiert bzw. manches um Kommentare erweitert. Ein Lesevergnügen, bei dem einem Shakespeares Welt im Handumdrehen tatsächlich näherrückt. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 7.1.2015)