Wo sind in Zukunft die Konfliktlinien zwischen den Generationen? Und wie könnten neue Perspektiven aussehen? In der Arena-Analyse 2015 wurden Experten dazu befragt.

foto: istock

Die jahrzehntelang beschworene Solidarität zwischen den Generationen, die der Sozialstaat mit milliardenschweren Transferleistungen unterfüttert: Das war einmal – glaubt man zumindest den teils alarmierenden Diagnosen der vergangenen Jahre.

Und tatsächlich scheint der von Politikern oft zitierte Generationenvertrag nur noch eine bloße Willenserklärung zu sein, der den Transformationsprozessen, denen die Menschen in einer modernen Informations- und Leistungsgesellschaft ausgesetzt sind, nicht mehr gerecht wird. Eine sichere Pension mit 65? Für heute 20-Jährige klingt das wie blanker Hohn.

Lineare Erwerbsbiografien wird es nicht mehr geben

Der klassische Dreiklang des Erwerbslebens (Ausbildung – Beruf – Pension, am besten Frühpension) ist schon längst einer Kakofonie aus Schule, Studium, Praktika, mehreren Arbeitgebern, Weiterbildung und beruflicher Neuorientierung gewichen. Dazu kommt der zunehmende Druck am Arbeitsmarkt, der in Europa immer mehr Junge ausschließt (siehe Grafik ), gleichzeitig aber bereits Endvierziger aus dem Erwerbsleben aussortiert.

Das alles ereignete sich vor dem Hintergrund einer Verschiebung der politischen Macht hin zu den Älteren, die, etabliert, wohlhabend und gut organisiert, ihre Agenda (Pensionen, Besitzstandswahrung, Sicherheit) ungleich leichter durchzusetzen vermögen als die Jungen, die sich mit einem System konfrontiert sehen, das auf ihre Bedürfnisse und Anliegen immer weniger Rücksicht nimmt.

Mehr Fairness statt Konflikt

Dieser demokratiepolitische Mechanismus, ständig Entscheidungen zugunsten der Gegenwart und zulasten der Zukunft zu fällen, muss ausgehebelt werden - das ist einer jener Befunde, die die Arena-Analyse 2015 in ihrer aktuellen Trendbefragung mit dem Titel "Generationen-Fairness" versammelt.

Seit neun Jahren trägt die Wiener Unternehmensberatung Kovar & Partners Meinungen und Prognosen von Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu einem vorgegebenen Thema zusammen. Gemeinsam mit dem STANDARD und der Wochenzeitung "Die Zeit" wurden diesmal 81 Expertinnen und Experten aus Österreich, Deutschland und der Schweiz um ihre Einschätzungen gebeten. Darunter befinden sich ehemalige heimische Spitzenpolitiker, aber auch aktive Manager sowie Politik-, Bildungs- und Wirtschaftsforscher.

Foto: istock

Wie in den Jahren zuvor, wurde allen Teilnehmern Anonymität zugesichert – was immer wieder zu überraschend offenen Aussagen führt, die für gewöhnlich entweder die Parteiräson zum Verstummen bringen oder zumindest in den sozialen Medien einen veritablen Shitstorm auslösen würden.

Tatsache ist, und darauf weisen auch die Befragten hin, dass sich die demografische Struktur des Landes in den nächsten Jahrzehnten weiter hin zu einer älteren Gesellschaft entwickeln wird. Die Lebenserwartung in Österreich steigt, die Geburtenraten sinken. Bei einer Nettozuwanderung im gleichen Ausmaß wie heute (55.000 im Jahr 2013) wird die Bevölkerungszahl in den nächsten Jahrzehnten zumindest stabil bleiben – bei deutlich steigendem Durchschnittsalter.

Das heißt, dass dann vier oder fünf Generationen gleichzeitig am Leben sein werden, was enorme Auswirkungen auf Familie und Arbeitsmarkt hat. Dazu kämen immer mehr junge Alte – Stichwort 60 ist das neue 40. Insgesamt würden sich die einzelnen Lebensphasen gegenüber heute stark verschieben: In der Arena-Analyse wurden zwei Szenarien identifiziert, wobei den Antworten zufolge beide parallel verwirklicht werden.

Zum einen werde ein bereits jetzt schon geläufiger Trend weitergeführt: das Hinausschieben des Erwachsenwerdens. Das Studieren bis Mitte 30, die Gründung einer Familie erst mit Mitte 40 (wobei die Fertilität von Frauen – Stichwort: Einfrieren von Eizellen – verlängert würde) werde schon in naher Zukunft gang und gäbe sein, so die Experten. Zum anderen werde es auch immer öfter Biografien geben, in denen die Zäsur die Regel und nicht die Ausnahme ist: Mit Anfang 20 ins Berufsleben, Ausstieg mit 50, weitere Ausbildung, starten einer neuen Berufskarriere, die womöglich bis 75 läuft – Szenarien, auf die das Bildungssystem und der Arbeitsmarkt bislang so gut wie überhaupt nicht vorbereitet sind.

Umkehr der Umverteilung

Die Forderungen, die in der Arena-Analyse an heutige und kommende Politikergenerationen zur Neuorganisation des Arbeitsmarkts gerichtet werden (Neuverteilung der Lebenseinkommen, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Lockerung des Kündigungsschutzes, der sich gegen die Jungen richtet, tatsächliche Reintegration von Menschen über 50 in den Arbeitsmarkt) sind nicht neu, gewinnen aber angesichts der immer rascher laufenden gesellschaftlichen Fragmentierung immer mehr an Brisanz. So müsse es eine Umverteilung hin von den Alten zu den Jungen geben, also höhere Einstiegsgehälter und eine flachere Einkommenskurve zur Pension hin. Um das zu erreichen, sollte auch in bestehende Verträge eingegriffen werden (dürfen).

grafik: der standard

Technische Entwicklungen wie autonome Mobilität, das Internet der Dinge oder die Automatisierung geistiger Leistungen, Stichwort Artificial Intelligence, sind zusätzliche Beschleuniger einer Transformation, bei der – so warnen einige Teilnehmer – vor allem die älteren Arbeitnehmer und schlechter Qualifizierte auf der Strecke bleiben könnten. Dem österreichischen Bildungssystem wird im derzeitigen Zustand nicht die Kraft zugeschrieben, Junge und Alte dafür zu wappnen.

Ein Mittel, um angesichts des demografisch bedingten ungleich verteilten politischen Einflusses von Jung und Alt Reformen anzustoßen, wäre einigen Befragten zufolge eine einschneidende Änderung des Wahlrechts.

Familienwahlrecht

Dazu gehört etwa die Einführung eines Familienwahlrechts, das allen Menschen ab der Geburt ein aktives Wahlrecht einräumt, das bis zum 16. Lebensjahr die Eltern ausüben. "Wenn demente Menschen noch wählen dürfen, stellt sich die Frage, warum 14-Jährige, die das wollen, noch nicht wählen dürfen", lautet ein provokantes Argument für diesen Vorschlag.

Eine andere Idee, um das Übergewicht der über 65-Jährigen in der Zukunft auszugleichen wäre ein Alterslimit für das aktive Wahlrecht, das bei 80 Jahren liegen könnte. Denkbar wäre einem Befragten zufolge auch eine dem Alter entsprechende Stimmgewichtung. Je höher das Lebensalter, umso weniger würde die Stimme wiegen, lautet die Faustformel.

Mehr Politikverdrossene

Den neuen, themen- oder interessengeleiteten Protestbewegungen, die sich außerhalb des klassischen Parteiensystems etablieren, wird in der Arena-Analyse keine allzu große Zukunft beschieden. Vielmehr seien, so ein Befragter, "die Bürger mit der Vielzahl an Aufforderungen, aktiv zu werden, maßlos überfordert".

Die Bewegungen und Proteste würden sich kannibalisieren und verlören an Mobilisierungskraft. Ein Allheilmittel gegen die zunehmende Politikverdrossenheit haben die befragten Experten nicht identifizieren können, dafür aber einen Hebel, um die Interessen künftiger Generationen per Gesetz zu verankern. 2007 etwa gab es im Deutschen Bundestag eine parteienübergreifende Initiative, deren Ziel es war, Gesetze verpflichtend auf ihre Generationenfairness hin zu überprüfen. Es blieb jedoch allein bei diesem Vorstoß.

grafik: der standard

Abseits von Fragen einer gerechteren politischen Teilhabe wird in der Arena-Analyse ein brisantes Thema erwähnt, das jetzt schon den politischen Diskurs prägt: die enormen, von den Babyboomern und darauffolgenden Generationen aufgehäuften Staatsschulden. Sie liegen in Österreich mittlerweile bei 82,6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, was nichts anderes heißt, als dass die aktuelle Generation schon jetzt verbraucht, was die künftige Generation erst schaffen muss.

"Wir führen einen Krieg gegen unsere eigenen Kinder", hat der US-Ökonomen und Autor Laurence J. Kotlikoff bereits vor zwei Jahren in seinem Buch "The Clash of Generations" angesichts der Schuldenmisere konstatiert. Gleichzeitig wird aber auch das Pensionssystem aus Schulden finanziert – was das im Generationenvertrag integrierte Umlagesystem "schon heute zu einer Fiktion werden lässt", wie ein Teilnehmer festhält. 2030 werden, sofern nicht eingegriffen wird, 16,7 Prozent des BIPs für Pensionen aufgewendet werden, der höchste Wert innerhalb der EU-27.

grafik: der standard

Die Lösungsvorschläge in der Arena-Analyse sind konservativ, bekannt – und harren noch immer der Umsetzung: Abbau der Staatsschulden, Einschränkung frühzeitiger Pensionsmöglichkeiten, Eingreifen in Pensionsprivilegien sowie ein höheres Antrittsalter.

Abseits dieser enormen politischen Herausforderung müssen sich der Arena-Befragung zufolge Jung und Alt in den kommenden Jahrzehnten neuen Herausforderungen stellen, die vor allem um die Themen Wohnraum und Pflege kreisen. So wird aufgrund steigender Mieten und Immobilienpreise ein Bedarf nach neuen Wohnformen entstehen.

Immer mehr Junge sehen sich in Zukunft gezwungen, immer länger bei den Eltern zu wohnen, gleichzeitig wird sich eine vitale 65-plus-Generation nicht mehr so einfach "ins Haus Waldesruh abschieben lassen", wie ein Teilnehmer der Analyse meint.

Smart, wenn man sich das leisten kann

Betreute Alten-WGs oder sogenannte Smart Homes, Häuser und Wohnungen, die mit vernetzter Haustechnik, Kommunikationsschnittstellen zu Betreuungspersonal und Sicherheitstechnologien ausgestattet sind, werden den immer individuelleren Ansprüchen einer noch immer agilen Seniorengeneration entgegenkommen – so man sich das leisten kann.

Denn, und das ist ein Fazit sowohl der Arena-Analyse als auch gängiger Prognosen: Die Kosten für die langfristige Versorgung und Betreuung alter Menschen werden weiter steigen. Bereits jetzt wird eine Generation älter, die nicht mehr weiß, ob für sie noch Geld für die Pflege vorhanden sein wird. Doch diese Debatte, konstatiert ein befragter Gesundheitsexperte, wird auf Bundesebene nicht einmal geführt.

Fitte Senioren helfen Gebrechlichen – oder den Jungen

Ebenso wenig werde von den Entscheidungsträgern ein Lösungsansatz verfolgt, der zwei Problemfelder künftiger Seniorengenerationen, jenes der steigenden Gefahr von Altersarmut und die zu geringe Zahl an Pflegekräften, zumindest mildern würde: die Integration jenes wachsenden Heers der fitten, mobilen 65- bis 79-Jährigen in den Arbeitsmarkt, sei es als – vernünftig bezahlte und nicht bloß ehrenamtliche – Pflege- und Betreuungskräfte, die Betagte, Gebrechliche, aber auch junge Familien unterstützen.

Oder als sogenannte Grey Entrepreneurs, die dank ihrer Erfahrung und Abgeklärtheit nicht zuletzt Jüngeren neue Jobperspektiven eröffnen können. Bloß ein Beispiel, wie eine neue Solidarität zwischen den Generationen aussehen könnte. (Stefan Schlögl, DER STANDARD, 8.1.2015)