"Les canards voleront toujours plus haut" (Die Enten fliegen immer höher)

Foto: lescanardsvoleronttoujoursplushaut.fr

Es liegt in der Natur des Menschen, bei Spielen siegen zu wollen. Man will erster werden, alle Punkte einsammeln oder wie in Nintendos Klassiker "Duck Hunt" alle Enten vom Himmel holen. Als Metapher auf die Unerschütterlichkeit der Redefreiheit haben französische Entwickler eine Version des 1980er-Hits veröffentlicht, die man nicht bewältigen kann. Anstelle von Enten flattern Ausgaben des Magazins Charlie Hebdo am Himmel. So viele und so schnell, dass noch so gute Schützen nicht alle erwischen können.

" Weltweiter Aufschrei nach Redefreiheit"

Der Anschlag auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo war ein Einschüchterungsversuch. In diesem Fall ging es den Attentätern um islamkritische Karikaturen, aber unter anderen Umständen hätte das Motiv auch eine der Karikaturen christlicher, jüdischer oder anderer ideologischer Leitfiguren sein können. Denn wie alle guten Satiremagazine nahmen die ums Leben gekommenen Zeichner und Schreiber von Charlie Hebdo die Extreme unserer Gesellschaft auf die Schaufel und machten sich damit Feinde an allen soziokulturellen Ecken und Enden.

Doch anstatt einzuschüchtern und ihre Glaubensrichtung zu verteidigen, haben die Attentäter mit ihren Morden das genaue Gegenteil erreicht. Denn so schwer das angesichts des unendlichen persönlichen Leids der Opfer und deren Angehöriger zu schreiben fällt, haben ihre Schüsse vor allem alle Muslime getroffen, die nun mehr denn je Anfeindungen und Skepsis ausgesetzt sein werden. Und anstelle anders denkende Menschen mundtot zu machen, haben die Terroristen einen weltweiten Aufschrei nach Redefreiheit ausgelöst. Wenn es etwas Positives aus diesen schrecklichen Ereignissen zu ziehen gibt, dann, dass uns vor Augen gehalten wurde, welche essentielle Bedeutung diese Freiheit für eine moderne, demokratische Gesellschaft hat.

"Interaktive Medien haben die Kraft, Menschen zu bewegen"

Damit meine ich nicht, die Freiheit, gegen andere aufzuhetzen oder Hass zu verbreiten, wie sie sie Vertreter extremer politischer Lager gerne auslegen. Sondern die Freiheit, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen, Kritik üben zu können. Kritik, die zum Nachdenken anregt, Missstände aufzeigt und manchmal auch über die (politisch korrekten) Stränge schlägt. Denn Kritik und die darauf folgende Reflexion ist es, was uns und persönlich und gesellschaftlich voranbringt. Es sind nicht so sehr die Erfolge, wie die Fehler, aus denen wir lernen.

Als Journalist sowie als Kritiker und Konsument hoffe ich, dass vor allem auch junge Medienschaffende sich dieser Tatsache bewusst werden und ihre Chance nutzen, ihren Gedanken speziell in modernen Medien wie dem Web, Videospielen und künftig der virtuellen Realität, freien Lauf zu lassen. Insbesondere die interaktiven Medien haben die Kraft, Menschen zu bewegen, sie in Situationen und Zustände zu versetzen und ihnen damit die Augen zu öffnen.

"Unerschütterliche Säule der Redefreiheit"

Wer sich gerade erst in diesen neuen Welten zurechtfindet oder gar eine Zukunft in interaktiven Medien anstrebt, möchte ich an dieser Stelle Werke von Pionieren wie Ken Levine, Neil Druckmann, Pawel Miechowski oder den Houser-Brüdern ans Herz legen. Titel wie "BioShock: Infinite", in dem man Zeuge einer christlich-nationalistischen Dystopie wird, oder "The Last of Us", in dem man auf berührende Weise mit Verlust und Liebe konfrontiert wird. Spiele wie "This War of Mine", in denen man in einem Krieg in die Opferrolle versetzt wird und Games wie "Grand Theft Auto", die uns bissig wie ein Satiremagazin die obszönen Auswüchse unserer westlichen Gesellschaft aufzeigen. Und während Hersteller und chinesische Zensurbehörden in diesen Tagen darüber verhandeln, welche Werke zum Marktstart von PlayStation, Xbox und Co. zugelassen werden dürfen, sollten sich auch Konsumenten hierzulande bewusst sein, welches besondere Geschenk Redefreiheit ist.

Denn Games mögen für viele wie Filme, Musik, Literatur und bildende Künste "nur" Unterhaltung sein, doch nicht zuletzt durch ihre einzigartige Form der Interaktivität haben sie das Potenzial, noch viel mehr zu sein. Eine weitere unerschütterliche Säule demokratischer Werte. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 10.1.2015)