Aufs Kreuz gelegt: "The Bull Laid Bear" (2012) spielt mit den tierischen Namen von Boom- und Rezessionsmärkten und stellt das Finanzsystem als gigantisches, bald zusammenfallendes Kartenhaus dar.

Filmstill: Oliver Ressler & Zanny Begg

Künstler und Filmemacher Oliver Ressler


Foto: privat

Linz - Man höre immer wieder, das Kapital sei gar nicht so flüchtig, wie behauptet wird, sagt Oliver Ressler. "In diesem Fall war das Kapital sehr flüchtig." Der 44-jährige, in Wien lebende Künstler und Filmemacher spielt darauf an, dass sich bis 2008 das Zentrum der internationalen Rohstoffmärkte in London befunden hat. "Aufgrund der Wirtschaftskrise hat die britische Regierung an verschiedenen Steuerschrauben gedreht. Das war scheinbar schon zu viel." Nur wenige Monate habe es gedauert, bis die wesentlichsten Firmen ihre Headquarters in die Schweiz verlegt hatten.

Diesem Umstand hat der für seine globalisierungs- und kapitalismuskritischen Beiträge bekannte Künstler 2014 den Kurzfilm The Visible and the Invisible gewidmet. Das, was Ressler am meisten fasziniert hat, wurde zum Motiv des Films: die relative Unsichtbarkeit der Konzerne im Stadtbild von Genf. Man stelle sich visuell repräsentative Gebäude vor, aber bei den allermeisten Rohstoffunternehmen würde stattdessen "schon da mit äußerster Zurückhaltung operiert". Vielmehr befänden sich die Mehrzahl der Zentralen in den obersten Stockwerken von Gebäuden, in denen auch eine Vielzahl anderer Firmensitze ist.

The Visible and the Invisible, der ebenso wie drei andere Filme in seiner, auch als Anklage zu verstehenden Personale Die Plünderung im Lentos (bis 1. 2.) zu sehen ist, legt Rauch und Nebel über die Sequenzen: eine Metapher für eine undurchsichtige Branche und ihre Methoden, für den Rauch, der in der Produktion von Gold, Kupfer, Erdöl oder Platin anfällt. Eine Erzählstimme liefert nicht nur Fakten, sondern stellt Bezüge zu einer Kolonialgeschichte der Rohstoffausbeutung her.

Nur zwei von Resslers Filmen arbeiten mit Erzählstimmen, also mit Texten, für die der Künstler als Autor verantwortlich zeichnet. Grundsätzlich interessiert es ihn aber eher, Filme über das gesprochene Wort der Interviewten zu entwickeln, diesen eine Stimme zu geben; die Präsenz des Künstlers sei über das Wie eines Films ohnehin sehr stark. Ressler wünscht sich eine größere Unvoreingenommenheit beim Zuhören. Darum verzichtet er manchmal sogar auf Namensinserts: Über Berufsbezeichnungen oder den sozialen Status würden sich Hierarchien einschleichen. "In der Regel habe ich mit Aktivisten gesprochen, für deren politisches Wollen ich eine Art Komplize bin."

Für Leave It in the Ground (2013) erschienen Ressler allerdings die Diskurse nicht spannend genug. Der Film setzt in den Lofoten an, einer landschaftlich idyllischen Inselgruppe Norwegens; die Regierung überlegt(e), die Förderung dort vermuteter Ölvorkommen über den Schutz der einzigartigen Natur zu stellen. Der Fokus liegt auf den Auswirkungen der Ressourcenschöpfung, Emissionen, Klimawandel und ersten, durch Umweltveränderungen hervorgerufenen Migrationsströmen.

"Es ist so kalt, dass sogar die Politiker die Hände in den eigenen Taschen haben", spricht Resslers Erzähler im Tonfall eines Märchenonkels wie von einer fiktiven Welt. Zynische Untertöne und theatral inszenierte, mit Sound dramatisierte, sich überlagernde Bilder geben dem Film eine eindeutige Schlagseite. Die von Ressler autoritär angelegte "BBC-Stimme" dekonstruiert sich im Verlauf, "flüstert, brüllt, weint fast".

Es ist eine subjektive Perspektive, der man Tendenziöses vorwerfen kann. Ressler lehnt es als Künstler jedoch ab, nach Gesetzmäßigkeiten des Dokumentarfilms (oder des Journalismus) - mit Stimme und Gegenstimme - zu arbeiten: "Eine neutrale Perspektive interessiert mich nicht", sagt er. Und: "Auch das, was gemeinhin unter dokumentarisch verstanden wird, hat viele inszenatorische Komponenten". Und: "Ich versuche, Bilder so einzusetzen, dass sie auch als politisches Statement funktionieren."

So kommen auch in The Bull Laid Bear (2012) über die Tricks am Finanzmarkt, über boomende Bull- und rezessive Bear-Märkte, nicht Banker und Börsengurus, sondern etwa Wirtschaftskriminologe William K. Black und Bloggerin Yves Smith (Naked Capitalism) zu Wort. Zwar würde seine Arbeit im Kunstkontext gezeigt, das viel stärkere Standbein habe sie aber im aktivistischen Feld.

Kalkulierte Angreifbarkeit

Dass ihn das eindeutig Politische angreifbar macht, bezweifelt Ressler nicht. "Diese Art des Filmemachens stellt einen gewissen Ausschließungsgrund für bestimmte Plattformen oder Medien dar." 2001 sei zuletzt ein Film von ihm im ORF programmiert worden, fiel aber kurzfristig doch noch aus der Sendung Kunststücke. Für This Is What Democracy Looks Like! hatte Ressler in einem Polizeikessel während der Demonstrationen zum World Economic Forum in Salzburg gefilmt. Die Rechtsabteilung soll damals geraten haben, als Gegenstimme einen Polizeisprecher ins Studio zu laden; man habe aber keinen Vertreter der Exekutive in einer Kultursendung haben wollen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 10./11.1.2015)