Ministerin Gabriele Heinisch-Hosek und der grüne Bildungssprecher Harald Walser (li.) lassen sich die Lehrmethoden an niederländischen Schulen erklären. Direktor Koos van den IJssel lauscht.

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Die Schüler am Wateringse Veld College lernen in "Domänen" - Für jedes Fach gibt es einen Raum, in dem sie selbständig lernen.

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Chemie wird am Wateringse Veld College auf Englisch unterrichtet.

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Die Schüler bekommen von Lehrer Ziele für eine Woche aufgegeben. Wenn die Ziele erreicht sind, wird dies auf dieser Karte vermerkt.

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Stifte kratzen auf Papier, Finger tippen auf Tastaturen, hin und wieder räuspert sich einer der etwa achtzig 15-jährigen Schüler im Raum. Es ist Ruhezeit am Wateringse Veld College. Innerhalb dieser zwanzig Minuten sprechen die Schüler nicht miteinander, sondern konzentrieren sich auf die Aufgaben, die sie für diese Woche zu erledigen haben.

In den Niederlanden gibt es 600 Schulen im Sekundarbereich. Schüler besuchen sie ab dem Alter von zwölf Jahren. Das Wateringse Veld College in einem Vorort von Den Haag ist eine dieser Schulen. Hier lernen die Schüler selbstständig. In jedem Fach treffen sie den Lehrer regulär meist nur eine Stunde pro Woche, dann werden Lernziele festgelegt. Ansonsten sitzen sie in "Domänen" - das sind Räume für jedes Fach - und lernen unter Beobachtung ihrer Lehrer.

Auf genau diese Art werden Schüler in den Niederlanden nur an drei Schulstandorten unterrichtet. Denn hier kann jeder eine Schule gründen und selbst entscheiden, mit welcher Methode gelehrt wird. "Jeder hat die Freiheit, Bildung anzubieten", heißt es dazu in der niederländischen Verfassung. Im OECD-Vergleich ist das Land Spitzenreiter bei der Schulautonomie: 86 Prozent der Entscheidungen fällt die Schule. In Österreich sind es lediglich 31 Prozent. Der Erfolg gibt dem System recht: Bei der Bildungsstudie Pisa schneiden die Niederlande regelmäßig sehr gut ab.

Konsens bei Autonomie

Deshalb ist Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) vergangenen Mittwoch mit einer Delegation von Ministeriumsmitarbeitern und den Bildungssprechern oder parlamentarischen Mitarbeitern aller sechs Parlamentsparteien in die Niederlande gereist, um sich das System anzuschauen. Autonomie ist eines der wenigen Themen in der österreichischen Bildungspolitik, in dem es einen Konsens gibt: Alle wollen mehr. Unklar ist, wie sie umgesetzt werden soll.

Im Wettbewerb verloren

Die Reise hat vor allem eines gezeigt: Das niederländische System unterscheidet sich nicht nur organisatorisch vom österreichischen (siehe Wissen), sondern auch kulturell. "Wir können sie nicht retten, sie hat im Wettbewerb um Schüler verloren", sagt etwa Arnold Jonk, ein Leiter des Unterrichtsinspektorats, zur Frage, warum eine Schule in Den Haag schließen musste.

Die Schulen stehen in Konkurrenz zueinander. Wer mehr Schüler hat, bekommt mehr Geld: Jeder Schule - egal ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen geführt wird - zahlt das Unterrichtsministerium ein Pro-Kopf-Budget. Wie die Schule das Geld ausgibt, ist ihr überlassen. Zusätzliche Gebühren sind nicht erlaubt. Trotzdem zahlen Eltern an Privatschulen freiwillig. Diese Beiträge dürfen aber nicht für die Lehre der Bildungsziele, die das Ministerium vorgibt, verwendet werden, sondern etwa für Weihnachtsfeiern oder Geigenunterricht. Um Eliteschulen zu verhindern, gibt es zusätzliches Geld für Kinder, deren Eltern einen niedrigen Bildungsabschluss haben.

Alle Ergebnisse öffentlich

Inspektoren kontrollieren die Schulen mindestens alle vier Jahre. Sie überprüfen, ob die Schulen die Lernziele, die vom Unterrichtsministerium vorgegeben werden, einhalten und wie die Schüler bei den standardisierten Tests abschneiden, die an allen Schulen durchgeführt werden müssen. Die Ergebnisse der Überprüfung werden auf der Webseite des Inspektorats veröffentlicht. Schließen kann die Behörde eine Schule nicht, allerdings wird sie nur mehr wenige Schüler haben, wenn sie regelmäßig als "sehr schwach" eingestuft wird. Derzeit sind das zwei Prozent.

Bis vor kurzem hatte auch das Wateringse Veld College Probleme. Die Schüler schnitten in den Standardtests schlechter ab. Die Schulerhalter waren mit dem Direktor unzufrieden. Deshalb wurde er kurzerhand ausgetauscht und Koos van den IJssel als Troubleshooter für ein Jahr geholt. Er verbessert die Zusammenarbeit mit den Lehrern und hat sie dazu verpflichtet, Weiterbildungskurse zu absolvieren. Van den IJssel gehört einer externen Agentur an, die sich auf die "Rettung" von Schulen spezialisiert hat.

Nicht nur Direktoren können die Schulbetreiber austauschen, auch die Lehrer bewerben sich und bekommen meist nur befristete Verträge mit den Schulbetreibern. Angestellt werden die Lehrer von den Schulen, nicht vom Ministerium.

Sozialindex für Östereich

Das kann sich Heinisch-Hosek für Österreich nicht vorstellen. Sie will, dass Lehrer im öffentlichen Dienst bleiben, sagt sie bei einem Besuch bei der niederländischen Lehrergewerkschaft. "Ich sehe eine Verpflichtung des Staates für die Lehrer." Gefallen findet die Unterrichtsministerin daran, dass es hier zusätzliches Geld für benachteiligte Schüler gibt. "Ich hätte nichts dagegen, dass man Regionen ermächtigt, das Geld anders zu verteilen", sagt Heinisch-Hosek. Um mehr Schulautonomie zuzulassen, fehle in Österreich derzeit noch eine "Vertrauenskultur", wie sie es in den Niederlanden gebe. "Unser System ist sehr hierarchisch organisiert. Ich bin aber durchaus bereit, etwas abzugeben", sagt sie.

In der kommenden Woche will Gabriele Heinisch-Hosek ihre Erkenntnisse mit den Bildungssprechern diskutieren. ÖVP-Bildungssprecherin Brigitte Jank kann sich etwa vorstellen, die niederschwellige Verwaltung in den Niederlanden zu übernehmen. "Wenn man loslässt, funktioniert der Ansatz." Als ersten Schritt würde sie den Ländern die Verantwortung für die Schulen überlassen.

Die Niederlande arbeiten derzeit an einer Veränderung ihres Systems. Haben sich die Inspektoren bisher auf schlechte Schulen konzentriert, sollen künftig besonders gute extra ausgewiesen werden, damit andere von ihnen lernen können. (Lisa Kogelnik, DER STANDARD, 10.1.2015)