Grafik: STANDARD

Linz - Genau weiß man es ja nicht. Und wenn man ehrliche Gewissenserforschung macht, muss man zugeben: Man weiß es gar nicht. Immerhin die Hälfte der Österreicher räumt ein, dass sie über den Islam zu wenig weiß. Noch deutlicher: Fragt man die Österreicher, wie sie denn das Wissen ihrer Landsleute über den Islam einschätzen, dann kommt noch mehr Unsicherheit zutage: 72 Prozent gehen davon aus, dass "die meisten Österreicher" nicht wüssten, wie der Islam wirklich ist.

Das geht aus einer im Dezember vom Linzer Market-Institut im Auftrag des STANDARD durchgeführten Umfrage hervor.

Erklärte Anhänger von SPÖ, Grünen und Neos sind besonders bereit, Wissenslücken über den Islam einzugestehen, ältere Befragte auch deutlich stärker als Befragte unter 30. Erklärte Anhänger von Freiheitlichen und Volkspartei lehnen dagegen mehrheitlich die Aussage ab, dass sie zu wenig über den Islam wüssten.

Market-Chef Werner Beutelmeyer: "Wir können nicht sagen, ob diese Befragten wirklich besser informiert sind - oder ob sie nur zufriedener mit ihren Vorurteilen sind und sich daher als gut informiert einschätzen." Einerseits.

Jeder Zweite fürchtet um österreichische Kultur

Andererseits: Die Hälfte der österreichischen Wahlberechtigten geht davon aus, dass der Islam bestrebt sei, die österreichische Gesellschaft zu verändern – und ebenfalls jeder Zweite sieht im Islam eine Gefahr für die österreichische Kultur.

Klar ist jedenfalls, dass die befragten Personen - sie wurden repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung ausgewählt - schon im Dezember (also lange vor den diese Woche die Medien beherrschenden Nachrichten über die Terroristen in Frankreich) große Skepsis gegenüber dem Islam empfunden haben. Im Dezember sagten 60 Prozent, dass der Islam in Österreich an Bedeutung gewinnen würde (im April 2014 waren 57 Prozent dieser Meinung) - und 45 Prozent sagen, dass der Islam schon jetzt zu viel Einfluss in Österreich habe.

Die Einschätzung des eigenen Wissens über den Islam hat bei der Beantwortung dieser Frage übrigens wenig Bedeutung. Menschen, die sich in der Beurteilung des Islam wenig sicher sind, sehen ebenso wie Islamkenner den Einfluss der Muslime steigen.

Parteinähe prägt Bild vom Islam, Indifferenz auch

Allerdings folgt die Einschätzung, dass der Islam immer mehr Bedeutung in Österreich bekommt, den Parteilinien: "Anhänger der Freiheitlichen und der ÖVP nehmen deutlich stärker einen zu großen Einfluss des Islam wahr als etwa die Anhänger der SPÖ oder der Grünen. Nur bei den Anhängern dieser beiden Parteien haben wir ein paar versprengte Befragte gefunden, die den Einfluss des Islam für zu gering halten - in der Gesamtbevölkerung spielt diese Ansicht nahezu keine Rolle", sagt Marktforscher Beutelmeyer.

Umgekehrt seien viele politisch derzeit nicht festgelegte Befragte der Ansicht, dass Muslime zu viel in Österreich zu sagen hätten - was ein von den politischen Parteien nicht ausgeschöpftes Potenzial ergibt.

In derselben Umfrage sagen 56 Prozent der Wahlberechtigten, dass der fundamentalistische Islam und Jihadisten künftig weltweit Einfluss gewinnen würden - auch dieser Meinung schließen sich vor allem Anhänger der Parteien rechts der Mitte an.

Befürchtungen für Österreich

Die Grafik zeigt, dass in der Einschätzung des Islam viele Befürchtungen stecken: 51 Prozent sehen im Islam eine Bedrohung für die österreichische Kultur - Männer haben da signifikant größere Sorgen als Frauen. Umgekehrt: Ein gutes Drittel meint, dass der Islam eben keine Bedrohung darstellen würde - und diese Meinung wird nicht nur von weiblichen Befragten, sondern vor allem auch von Anhängern der Grünen und der SPÖ hochgehalten.

DER STANDARD ließ auch fragen, ob die österreichischen Christen etwa die Muslime zum Christentum bekehren sollten. Dieser missionarische Einsatz wird von einer deutlichen Mehrheit (71 Prozent) abgelehnt - allerdings kann ihm etwa jeder vierte FPÖ-Wähler und jeder achte ÖVP-Wähler etwas abgewinnen. In den Wählerschaften der anderen Parteien gibt es für die - in der österreichischen Geschichte der Gegenreformation als "katholisch machen" erprobte - Missionierung kaum Rückhalt.

Entspannte Haltung zum Glauben

Auch die Forderung, dass sich, wer in Österreich lebt, vom Islam abkehren sollte, wird von zwei Dritteln der Befragten zurückgewiesen.

Beutelmeyer, selber Protestant, sieht eine überwiegend entspannte Haltung der österreichischen Bevölkerungsmehrheit: "Man kann das ganz gut an der Aussage festhalten, dass man vielen Muslimen attestiert, sie hätten dieselbe Einstellung zu ihrer Religion wie die Christen zum Christentum. Dass Muslime für frömmer gehalten werden als die Christen, steht dem nicht entgegen. Von den Christen weiß man ja auch, dass sie es mit den Sakramenten und den Vorgaben der jeweiligen Kirche nicht so genau nehmen und dass nur eine Minderheit die Gottesdienste besucht. Es gibt ja heute kaum Christen, die in einen 'Heiligen Krieg' ziehen würden, wie es das in früheren Jahrhunderten durchaus gegeben hat."

Angst vor Anhängern des Jihad

Einige Ängste und Sorgen bleiben dennoch: Zwar meinen 41 Prozent, der sogenannte "Islamische Staat" habe mit den Muslimen in Österreich nichts zu tun - aber 48 Prozent gehen doch davon aus, dass diese Terrororganisation mit staatlichem Anspruch in Österreich viele Anhänger habe. Vor allem junge, männliche und wenig gebildete Befragte sowie erklärte Wähler der FPÖ hegen diese Befürchtung. Wer sich nach eigenem Bekunden wenig mit dem Islam auskennt, urteilt übrigens deutlich vorsichtiger.

Und vielfach orientiert sich die Einschätzung des Islam vor allem an Äußerlichkeiten: Ein Drittel der Befragten geht davon aus, dass sich die meisten Österreicher daran stoßen, wie sich Muslime benehmen und kleiden - was selbst wieder ein Vorurteil sein kann. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 10.1.2015)