Wien – Exinnenminister Ernst Strasser ist nach nur acht Wochen Haft Freigänger. Er kann somit tagsüber einer beruflichen Tätigkeit (bei einem Wiener Beratungsunternehmen) nachgehen. Nur die Nächte bzw. Wochenenden muss er somit in der Vollzugsanstalt Wien-Simmering verbringen. In sozialen Medien wird nun heftig diskutiert, ob der frühere Politiker bevorzugt behandelt wird. DER STANDARD nimmt die Debatte zum Anlass, um sich die Freigängerregelung näher anzusehen.

Frage: Wann dürfen Häftlinge einen Antrag auf Freigang stellen?
Antwort: Jeder Strafgefangene darf dann einen Antrag stellen, wenn die voraussichtliche Reststrafzeit drei Jahre nicht übersteigt. Auf Ernst Strasser trifft das zu. Er wurde im Oktober rechtskräftig wegen Bestechlichkeit in der Lobbyisten-Affäre zu drei Jahren unbedingt verurteilt. Der frühere Innenminister profitierte davon, dass sein Urteil von zunächst dreieinhalb auf drei Jahre herabgesetzt wurde.
Frage: Schaut die Justizvollzugsanstalt nur auf die Resthaftdauer?
Antwort: Nein. Es wird eine individuelle Beurteilung vorgenommen, wie Josef Schmoll, Leiter der Justizanstalt Wien-Simmering, im STANDARD-Gespräch erklärt. Man schaue sich vor allem an, ob bzw. welche Vorstrafen es gab und wie sich der Verurteilte in der Haft verhält. "Wenn jemand ein tadelloses Vorleben hat, keine Probleme in der Haft verursacht, es sich um einen Erstvollzug handelt und kein Missbrauch zu befürchten ist, spricht nichts gegen einen Freigang", erklärt Schmoll.
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Frage: Wie viele Gefängnisinsassen bekommen den Status Freigänger?
Antwort: Am heutigen Tag haben laut Justizministerium 377 Personen in ganz Österreich Freigang (insgesamt gibt es knapp 9000 Gefängnisinsassen). Im gesamten Vorjahr wurden 90.783 Tage Freigang genehmigt. Weitere Hintergründe liefert der jährliche Sicherheitsbericht, der vom Innen- und Justizministerium erstellt wird. Demnach hatten 84 Prozent der Insassen, die aus einer Strafhaft entlassen wurden, niemals Freigang. Große Unterschiede gibt es allerdings zwischen In- und Ausländern. Von den Österreichern waren 26 Prozent zumindest einmal auf Freigang, bei den Drittstaatsangehörigen sind es nur acht Prozent, bei den EU-Bürgern gar nur drei Prozent. Noch anschaulicher wird der Unterschied, wenn man sich die Zahl der Freigängertage ansieht. Österreicher erhielten im Schnitt bei 100 Straftagen sechs Freigänge, Drittstaatsangehörige zwei und EU-Bürger in 1000 Tagen nur sechs Freigänge.
Frage: Wie erklärt sich der große Unterschied zwischen Drittstaatsangehörigen und EU-Bürgern?
Antwort: Laut dem Sicherheitsbericht gibt es eine "restriktive Praxis gegenüber rumänischen und ungarischen Insassen, den beiden größten Gruppen innerhalb der EU-Bürger in Haft". Bei Personen aus ehemaligen "Gastarbeiternationen" wie der Türkei oder Ex-Jugoslawien geht man wiederum davon aus, dass diese häufiger über familiäre Kontakte in Österreich verfügen, besser integriert sind und daher eine geringere Gefahr einer Rückfälligkeit besteht.
Frage: Bei welchen Gruppen und nach wie vielen Monaten kommt die Regelung im Schnitt zum Einsatz?
Antwort: Genaue Analysen dazu gibt es nicht. Laut General Peter Prechtl von der Vollzugsdirektion des Justizministeriums werde sie aber eher bei Eigentumsdelikten wie Diebstahl oder Betrug gewährt und weniger bei Gewaltdelikten. Arbeiter und Menschen, die einen kaufmännischen Beruf erlernt haben, würden ebenfalls häufiger profitieren.

Frage: Kann man von einer fairen oder gerechten Regelung sprechen, wenn vor allem Inländer, die vorher gut in die Gesellschaft integriert waren, davon profitieren?
Antwort: Für manche sei es sicher nicht einfach, das zu tolerieren, weil es als ungerecht empfunden werde, sagt diesbezüglich der Kriminalsoziologe Arno Pilgram. "Aber ungerecht ist nicht der Strafvollzug, sondern die Verteilung gesellschaftlicher Chancen, die der Haft vorangeht." Die Regelung spiegle also den sozialen Status wider, "ich würde sie daher nicht mit Promi-Bonus umschreiben", so Pilgram. Es sei schließlich nicht Aufgabe des Strafvollzugs, den sozialen Status zu korrigieren. Auch Nikolaus Tsekas vom Bewährungshilfeverein Neustart will im Fall Strasser nicht von einer Bevorzugung sprechen. "Die Resozialisierung ist ein ganz wichtiger Aspekt im Strafvollzug. Es geht nicht darum, jemanden über die Maßen von sozialen Kontakten abzuhalten." Beide würden es bei Fällen wie jenem Strassers überhaupt begrüßen, wenn auf unbedingte Strafen verzichtet würde.
Frage: Gibt es für Insassen Hilfe vonseiten der Justizanstalt bei der Jobsuche?
Antwort: Vereinzelt gelinge es durchaus, Jobs zu finden, sagt Josef Schmoll. Bessere Chancen hätten aber natürlich jene, die selber einen Arbeitgeber überzeugen können. Für welches Delikt jemand verurteilt wurde, sei gar nicht so entscheidend, meint Schmoll. "Es geht um die Frage: Gebe ich dem Insassen eine zweite Chance oder eben nicht." Neustart-Vertreter Tsekas berichtet aus der Erfahrung: "Wenn der Straffällige seinem Arbeitgeber oder dessen Ruf nicht geschadet hat, bekommt er eher eine Chance."
Frage: Wie viel verdienen Freigänger bei ihren Jobs?
Antwort: Sie müssen von den Firmen nach dem jeweils gültigen Kollektivvertrag bezahlt werden. Lohn beziehungsweise Gehalt werden aber an die Justizanstalt überwiesen. Der Häftling bekommt lediglich eine geringe Entschädigung in Höhe von 1,88 Euro pro Stunde. Aus finanzieller Sicht sind die Freigänge also vor allem für den Staat ein Geschäft. Im Vorjahr wurden unter diesem Titel rund fünf Millionen Euro eingenommen. (Günther Oswald, derStandard.at, 12.1.2015)