Wien - Das menschliche Rückenmark kann nach kompletter Querschnittslähmung durch elektrische Impulse eines implantierten Stimulators Aktivitäten in der Beinmuskulatur auslösen. Einem Team von Forschern am Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien ist es im Rahmen einer internationalen Kooperation gelungen, jene Mechanismen zu identifizieren, über die das Rückenmark diese Aktivitäten steuert.

Menschen mit Querschnittslähmung besitzen im Rückenmark unterhalb der Verletzung noch immer Nervenverbände (sogenannte Lokomotionszentren), die rhythmische Bewegungen in den Beinen auslösen können. "Mittels statistischer Verfahren konnten wir eine kleine Zahl von Grundmustern identifizieren, die bewegungsbezogenen Muskelaktivitäten in den Beinen zugrunde liegen und die eine periodische Aktivierung bzw. Inaktivierung der Muskeln steuern, wodurch zyklische Bewegungen wie beim Gehen erfolgen", so Simon Danner vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik zitiert. "Ähnlich einem Baukastensystem kombiniert das Nervennetzwerk im Rückenmark diese Grundmuster flexibel je nach Bewegungsanforderung", so Danner.

Wie ein Huhn ohne Kopf

Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift "Brain" veröffentlicht. Das Gehirn bzw. der Hirnstamm fungieren zwar als Kommandozentrale, aber Nervennetzwerke im Rückenmark generieren die komplexen motorischen Erregungsmuster selbst. Diese Lokomotionszentren gibt es bei den meisten Wirbeltieren. Ein Beispiel dafür, dass das Rückenmark auch noch Signale aussendee, wenn das Gehirn nicht mehr beteiligt ist, seien geköpfte Hühner, die noch umherlaufen. Das Rückenmark sende in derartigen Fällen auch nach Verlust der Steuerung durch das Gehirn noch motorische Signale aus, die in Lauf- und Flügelbewegungen umgesetzt werden.

Die neuen Erkenntnisse sollen künftig in Rehabilitationsansätze einfließen, die darauf abzielen, jene Nervenverbände, die nach einem Unfall und folgender Querschnittslähmung noch funktionieren, weiterhin über elektrische Stimulation nutzbar zu machen. Wie die Nervenverbände dafür exakt stimuliert werden müssen, hänge auch vom individuellen Verletzungsprofil ab und sei Gegenstand weiterer Studien, so die Forscher. (APA/red, derStandard.at, 12.1.2015)