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Was uns gefällt, kann eine Menge über uns aussagen.

Foto: Reuters/Anzuoni

Cambridge/Wien - Auch Weltuntergänge gehen mit der Zeit. In Brian K. Vaughans digitaler Comic-Serie "The Private Eye" aus dem Jahr 2013 fand die Apokalypse nicht physisch, sondern in der Datensphäre statt. Seit die Cloud implodierte, gehen die Menschen nur noch maskiert aus dem Haus, aus Scham, denn jedes peinliche Foto, jeder Mailverkehr, jeder Besuch einer Website wurden kurzzeitig für alle einsehbar. Der Erfolg der Serie zeigt, dass Vaughan damit einen Nerv getroffen hat.

Eine Zehe des digitalen Fußes reicht

Im selben Monat, in dem die erste Folge des Comics erschien, veröffentlichten Wissenschafter der Universität Cambridge eine Studie darüber, was unser "digitaler Fußabdruck" über uns aussagt. Und sie brauchten nicht annähernd so viele Faktoren zu berücksichtigen wie oben genannt. Allein schon eine Auswertung der Facebook-Likes eines Menschen ermöglicht mit jeweils etwa 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit, dessen ethnische Zugehörigkeit oder sexuelle Orientierung zu identifizieren, so ihr Befund.

Zwei der Wissenschafter, die für diese Studie die Testseite "You Are What You Like" eingerichtet hatten, waren auch an einer Untersuchung beteiligt gewesen, die nun in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" veröffentlicht wurde. Aufbauend auf den früher gewonnenen Erkenntnissen, interessierte das Team um Erstautorin Wu Youyou, wer das bessere Persönlichkeitsprofil eines Menschen erstellen kann: dessen Angehörige oder ein Computerprogramm.

Erneut konzentrierten sich die Forscher auf Facebook-Likes als einzigen Faktor. Über 86.000 freiwillige Versuchsteilnehmer gewährten den Wissenschaftern nicht nur Zugang zu den von ihnen gesetzten Likes. Sie füllten zudem einen umfangreichen Fragebogen aus, der sich am Modell der sogenannten Big Five der Persönlichkeitspsychologie orientiert: Ausgehend von den fundamentalen Kategorien Offenheit, Neurotizismus, Intro- respektive Extravertiertheit, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit wird daraus ein Persönlichkeitsprofil erstellt.

Der Algorithmus, der uns kennt

Beide Datenmengen wurden korreliert, um daraus einen Algorithmus zu gewinnen, der sich im konkreten Einzelfall dazu verwenden lässt, aus den Likes Rückschlüsse auf die Persönlichkeit zu ziehen. Parallel dazu wurde den ebenfalls auf Facebook vertretenen Angehörigen der Versuchsteilnehmer eine verkürzte Version des Fragebogens vorgelegt: Auch sie sollten die Persönlichkeit des ihnen nahestehenden Probanden beurteilen.

Es zeigte sich, dass die Software mit steigender Datenmenge - also der Anzahl der Likes - treffsicherer ist als Familie und Freundeskreis: Arbeitskollegen wurden schon ab zehn Likes übertroffen, Freunde und Mitbewohner mit 70, Familienmitglieder mit 150. Immerhin: Lebenspartner hielten bis 300 mit, was - vorerst noch - über der durchschnittlichen Like-Zahl eines Facebook-Users liegt.

In der Interpretation ihrer Ergebnisse scheinen die Forscher hin- und hergerissen zu sein: Zum einen geraten sie über die Möglichkeiten von Big Data geradezu ins Schwärmen - mit Anwendungen von der Werbung bis zur Partnersuche. Zudem könnten aus solcher Software letztlich Maschinen entwickelt werden, die emotionale Intelligenz und Sozialkompetenz simulieren.

Andererseits betonen sie, dass die Politik Sorge dafür tragen müsse, dass jeder Mensch volle Kontrolle über seinen digitalen Fußabdruck hat. Und sie räumen ein, dass ihre Zukunftsvision - ganz wie Vaughans Welt - durchaus auch dystopische Züge habe. (jdo, DER STANDARD, 13.1.2015)