
Für den Biologen Peter Schausberger sind Raubmilben der Art Neoseiulus californicus ein interessantes Forschungsobjekt - sowohl im Verhalten wie auch in der Ernährung sind sie sehr anpassungsfähig.
Wien - Das Wetter ist großartig. Die Morgensonne taucht die Landschaft in ein warmes Licht, eine leichte Brise lässt Feuchtigkeit aus der Erde hochsteigen. Ein Weibchen traut dem Frieden nicht. Sie hat Witterung aufgenommen. Ein Raubtier scheint in der Nähe zu sein. Zeit zu flüchten?
Schauplatz der obigen Szene ist nicht etwa die Serengeti, sondern ein andalusisches Erdbeerfeld, und das beunruhigte Tier ein nur wenige Millimeter langer Thrips, auch Fransenflügler genannt. Art: Frankliniella occidentalis. Diese ursprünglich aus dem Südwesten Nordamerikas stammenden Mini-Insekten haben sich über Warentransporte in vielen warmen Weltregionen ausgebreitet - sehr zum Leidwesen der Bauern, denn es sind Pflanzenschädlinge mit einer hohen Fortpflanzungsrate.
Das Thripsweibchen auf dem Erdbeerblatt traut sich nicht, seine Eier abzulegen. Es hat Duftspuren von einem noch kleineren, aber angriffslustigen Geschöpf gerochen: die der Raubmilbe Neoseiulus californicus. "Die Thripsmütter sind dann sehr gestresst", berichtet der Biologe Peter Schausberger aus eigener Beobachtung.
Nervös trippeln sie umher und versuchen, den noch unsichtbaren Feind auszumachen. Sowohl der Thrips selbst wie sein Nachwuchs wäre gefährdet. N. californicus frisst auch Larven - man ist flexibel. "Ein sehr plastisches Tier", sagt Schausberger. Sowohl verhaltensbiologisch wie auch nahrungsökologisch.
Für Schausberger, der als Wissenschafter an der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien arbeitet, ist N. californicus deshalb ein hochinteressantes Studienobjekt. Der Experte untersucht unter anderem das Lernverhalten der Raubmilben.
Spinnentier mit kurzer Jugend
Ihre Jugend, wenngleich nur sehr kurz, ist auch für sie eine Art Ausbildungszeit. Wenn N. californicus aus seinem Ei geschlüpft ist, verbringt er einen Tag als Larve und vollzieht anschließend die erste Häutung. Danach folgen zwei Nymphenstadien von je anderthalb Tagen. Nach der dritten Häutung beginnt das Erwachsenenleben. Ab diesem Moment müssen vor allem die weiblichen Raubmilben viel fressen, um genug Ressourcen für die Produktion von Eiern zu haben.
Aus diesem Grund dürfte wohl auch die Gemeine Spinnmilbe, zoologisch Tetranychus urticae, ganz oben auf N. californicus' Speiseplan stehen. Sie besiedelt weltweit mehr als tausend verschiedene Wirtspflanzenarten. Hierüber können Landwirte so manches Klagelied anstimmen. Für die Raubmilben indes ist T. urticae eine ideale Nahrungsressource: zahlreich vorhanden und leicht verdaulich. Die hungrigen Jäger ergreifen ihr Opfer mit zangenartigen Kieferklauen, spießen sie auf ihr spitzes Maul und saugen sie restlos aus.
N. californicus kann allerdings auch anders, wie bereits erwähnt. Sind keine Spinnmilben vorhanden, dienen Thripse oder andere kleine Insekten als alternative Beute. Notfalls greifen die Raubmilben sogar auf Pollenkörner zurück. "Je länger sie suchen müssen, umso weniger wählerisch werden sie", sagt Schausberger.
Wie aber kommt ihre Vorliebe für eine bestimmte Art Futter zustande? Dies hat Schausberger mit seinem Team an der Boku im Labor untersucht. Die Forscher testeten die Rolle von Prägung und anderen Lernerfahrungen bei jungen N. californicus. Hierzu brachten sie frisch geschlüpfte Larven mit Spinnmilben, jungen Thripsen oder beiden in Kontakt.
Der Raubmilbennachwuchs war anfangs nicht in der Lage, die Beutetiere erfolgreich anzugreifen. Dies gelang nach einem Tag nur den Nymphen bei Attacken auf Spinnmilben. Doch die winzigen Räuber zeigten als erwachsene Tiere deutliche Unterschiede im Jagdverhalten. Wer von ihnen vorher Kontakt zu Thripsen hatte, griff diese nun schneller und häufiger an. Offensichtlich erkannten sie die Kleininsekten viel rascher als Nahrungsquelle.
Die Prägung von jungen Raubmilben auf potenzielle Beutetiere erfolgt höchstwahrscheinlich anhand von chemischen Signalen, sagt Schausberger. N. californicus ist schließlich vollkommen blind und muss sich somit vor allem über seinen Geruchssinn orientieren. Wie wichtig der Duft von Futter für die achtbeinigen Jäger ist, konnte das Boku-Team bei einem weiteren Experiment nachweisen.
Vererbter Geschmack
Die Wissenschafter reicherten Futterpflanzen mit den Aromastoffen Vanillin und Anisaldehyd an und nutzten sie als Grundlage für die Aufzucht von Tetranychus urticae. So entstanden Spinnmilben, die entweder nach Anis oder Vanille dufteten. Diese Krabbler wiederum wurden an eierträchtige N.-californicus-Weibchen verfüttert. Deren Nachwuchs setzte man später getrennt beide Sorten aromatisierter Spinnmilben vor.
Das Ergebnis: Meist bevorzugten die Raubmilben-Nymphen jene Geschmacksrichtung, welche schon ihre Mutter genossen hatte.
In diesem Fall, meint Schausberger, dürfte es sich um pränatales Lernen handeln. Vor der Eiablage sind die Jungmilben in den befruchteten Eiern mit dem Mutterleib verbunden. Sie bekommen Nährstoffe zugeführt und anscheinend auch Duftsignale. Die merken sie sich. "Die Embryonen haben schon entwickelte Sinnesorgane", sagt Schausberger.
Die Fähigkeit, Informationen über geeignetes Futter schon sehr früh aufzunehmen und zu verarbeiten, bietet große evolutionäre Vorteile. Das Angebot an Beutetieren ist nicht immer gleich. Durch Prägung und assoziatives Lernen jedoch können sich die Raubmilben individuell auf die am besten verfügbare Nahrungsquelle einstellen. Eine optimale Anpassung an unvorhersehbare Lebensbedingungen.
Die Studien der Boku-Experten sind auch für die Landwirtschaft interessant. N. californicus wird bereits heute erfolgreich zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Über gezieltes Training der Jungmilben ließe sich die Wirksamkeit solcher Maßnahmen womöglich noch deutlich verbessern.
Die Wiener Wissenschafter setzen ihre Untersuchungen mit finanzieller Unterstützung durch den Wissenschaftsfonds FWF fort. Zurzeit werden unter anderem die Auswirkungen verschiedener Lernmechanismen, mit und ohne Belohnung, auf den späteren Jagderfolg getestet. "Wir sehen da bereits unterschiedliche Intensitäten", sagt Schausberger. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 14.1.2015)