Kleine Länder, großer Schaden: Yiannis Dragasakis warnt die Gläubiger.

Foto: bernath

Bild nicht mehr verfügbar.

Am 25. Jänner wählen die Griechen eine neue Regierung.

Foto: REUTERS/Alkis Konstantinidis

STANDARD: Wie oft denken Sie jetzt an den 26. Jänner, den Tag nach den Wahlen?

Dragasakis: Seit 2012, als wir erstmals bei den Wahlen stark wurden, bereiten wir uns auf diesen Moment vor. Jetzt ist es so weit. Wir haben bereits die ersten Gesetze entworfen, die wir verabschieden möchten. Wir haben ein sehr detailliertes Aktionsprogramm, und gäbe es nicht die Schuldenverhandlungen, die vor uns liegen, würden wir diese Maßnahmen schon am nächsten Tag ergreifen.

STANDARD: Wie wollen Sie Griechenlands Schuldenberg von 175 Prozent des BIPs umschichten?

Dragasakis: Mit einer Schuldenlast, die nicht tragbar ist, kann man nicht weitergehen. Die Märkte vertrauen uns nicht, man kann keinen Weg zum Wachstum einschlagen. Wenn wir uns also darauf einigen können, dass Griechenlands Schulden nicht tragbar sind, treten wir in einen Verhandlungsprozess ein, in dem wir unsere Ideen und Vorschläge haben, aber auch sehr bereit sind zu hören, was die andere Seite zu sagen hat.

STANDARD: Wie viel wollen Sie abschreiben?

Dragasakis: Schauen Sie, in der Forschung gibt es darüber keinen Konsens. Eine Reihe von Ländern ist mit einer viel niedrigeren Schuldenrate bankrottgegangen. Nehmen Sie Argentinien oder die Ukraine. Das Entscheidende sind die Wachstumsaussichten. Sind sie gut, dann lassen sich höhere Schulden aushalten. Es gab eine Zeit, da standen Griechenlands Schulden bei 100 Prozent des BIPs. Der Fehler war, dass wir sie in Wachstumsphasen nicht abgebaut haben. Jetzt verlangen die Gläubiger, durch einen Haushaltsüberschuss bezahlt zu werden, der mit 4,5 Prozent bis 2020 festgesetzt wurde und später noch auf sieben Prozent steigen soll. Bei einem so großen Überschuss gibt es keinen Spielraum mehr, irgendetwas anderes zu tun. Schuldenrückzahlung muss an Wachstum geknüpft sein. Wenn wir hohes Wachstum haben, zahlen wir auch mehr zurück. Das war auch das Prinzip, das beim Londoner Schuldenabkommen 1953 für Deutschland angewandt wurde.

STANDARD: Sie wollen eine Neuauflage dieser Konferenz, ein London II?

Dragasakis: Wenn wir uns alle einig sind, dass die Grenze der öffentlichen Verschuldung bei 60 Prozent des BIPs liegen soll, dann brauchen wir einen europäischen Plan, der allen Mitgliedsstaaten erlaubt, ihre Schulden abzubauen. Deshalb bestehen wir auf einer europäischen Schuldenkonferenz. Wenn wir unsere europäischen Partner nicht davon überzeugen können, müssen wir eine Lösung nur für die griechischen Schulden finden.

STANDARD: Sie haben sechs Monate Pause für Neuverhandlungen über die Schulden vorgeschlagen.

Dragasakis: Das steht derzeit zur Diskussion. Wenn wir den Monat Juli erreichen, aber bis dahin keine Einigung mit den Kreditgebern haben, gibt es ein Problem. Bis dahin können wir den IWF (Internationaler Währungsfonds) und die EZB (Europäische Zentralbank) zahlen, indem wir Staatspapiere ausgeben, die von privaten inländischen Investoren gekauft werden. Oder wir können den IWF bitten, den Schuldendienst für einige Monate auszusetzen. Im April wird der IWF unseren Haushaltsüberschuss – wie viel auch immer das Ende sein mag – von einem dafür vorgesehenen Konto abbuchen. Die Schuldenrückzahlungen, die im Juli und August anstehen, würden mit den letzten Raten des Hilfskredits gezahlt, den wir erhalten. Sie geben uns ja Geld, nur damit wir sie dann zurückzahlen. Wenn wir dann an diesem Punkt sind und immer noch keine Einigung erreicht haben, dann können wir nicht mehr zahlen. Dann gibt es wahrscheinlich eine Krise.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass die EZB oder einzelne EU-Regierungen auch einfach Nein zu den Forderungen von Syriza sagen?

Dragasakis: Ja. Jeder Mitgliedsstaat kann in eine schwierige Position gebracht und erniedrigt werden, wenn seine Partner es so wollen. Aber gleichzeitig kann auch ein kleines Land großen Schaden verursachen. Die Frage ist, was für ein Europa wir wollen. Sollen wir in Richtung gegenseitige Zerstörung gehen? Wenn unser Land erpresst wird, werden wir das nicht einfach passiv ertragen. Es wären die Griechen, die für ihre demokratische Entscheidung, die sie getroffen haben, erpresst würden. Und wie würden die Menschen in den anderen europäischen Ländern, in Spanien, in Italien auf ein solches antidemokratisches Verhalten reagieren? Wem würde das alles nutzen – Europa oder den Rechtsextremen und Marine Le Pen. Aus diesem Grund wünschen wir nicht, einseitig Maßnahmen zu ergreifen.

STANDARD: Herr Tsipras ist 40 und hat keinerlei Regierungserfahrung. Sie waren zumindest für einige Monate zwischen 1989 und 1990 Vizewirtschaftsminister. Was lässt Sie glauben, Syriza sei fähig zu regieren?

Dragasakis: Griechenland ist von sehr erfahrenen Politikern zugrunde gerichtet worden. Wir brauchen jetzt junge Leute, die willens sind, Neues zu versuchen.

STANDARD: Es heißt, Sie könnten Finanzminister in einer Syriza-Regierung sein.

Dragasakis: Ich habe ein Feld außerhalb von Athen, ich würde lieber Bauer werden. Aber weil ich nun einmal ein diszipliniertes Parteimitglied bin, tue ich, was man mir sagt. (lacht) (Markus Bernath, derStandard.at, 16.1.2015)