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Die Balance beim Wachstum muss China erst noch finden.

Foto: Reuters / Wong Campion

China hat die USA überholt, Indien ist an Japan vorbeigezogen.

Grafik: Standard

Wien - Dass es passieren wird, war Fachleuten bewusst. Am Ende ging es aber dann doch schneller, als die meisten gedacht haben. Die USA sind nicht mehr die größte Volkswirtschaft der Welt. Das Land hat die Krone an China abgegeben, wie Zahlen des IWF zeigen. Angepasst an die Kaufkraft kommt China auf ein Bruttoinlandsprodukt von 17,6 Billionen Dollar. Die USA liegen bei 17,4 Billionen.

Die Finanzkrise hat den Aufholprozess beschleunigt, ausschlaggebend waren am Ende aktualisierte, bessere Statistiken. International werden die Berechnungsmethoden alle fünf bis zehn Jahre angepasst.

Und was jetzt? Sollte sich Europa von den USA abwenden und mit der neuen Nummer eins verbünden? Kinder in der Schule Chinesisch statt Englisch lernen?

Auch Indien holt auf

Eines ist nicht erst seit der neuen Rangordnung klar: Während der Westen nur träge aus der Finanzkrise kommt, sich langsam bereitmacht, seine Schnürsenkel zu binden, sind viele Schwellenländer längst im Sprinttempo unterwegs. Nicht nur China holt auf, Indien ist in den neuen Statistiken auf Platz drei geklettert, hat also Japan überholt.

Die indonesische Volkswirtschaft ist mittlerweile größer als die britische, heuer wird das Land wohl Frankreich hinter sich lassen. Dass China jetzt die USA überholt, macht zwar die meisten Schlagzeilen, ist aber nur ein Aspekt der neuen Realität in der Weltwirtschaft.

USA kontern

Dabei darf man die Zahlen auch nicht überinterpretieren. China hat die USA nur überholt, wenn man die Kaufkraft der 1,3 Milliarden Chinesen zusammenrechnet. Pro Kopf sind die USA weiterhin viermal reicher als die Chinesen. China bleibt ein armes Land, liegt etwa auf einem Niveau mit Serbien. Was das Land einflussreich macht, ist seine Größe.

Und: Der in China lebende Ökonom Michael Pettis geht davon aus, dass das offizielle chinesische Bruttoinlandsprodukt um bis zu vierzig Prozent aufgeblasen ist. So oder so sind die USA auf absehbare Zeit die unangefochtene militärische Supermacht. Das Land gibt weiterhin ein Vielfaches für Rüstungsausgaben aus als China und andere Länder. Der Aufstieg Chinas macht die Amerikaner aber zunehmend nervös. "Die USA versuchen ihre vorherrschende Rolle noch mit Handelsabkommen wie TTIP zu festigen", sagt Ngaire Woods, die Leiterin der Blavatnik School of Government an der Universität Oxford.

Nervöse Supermacht

Auch die im US-Kongress gescheiterte IWF-Reform ist für Woods ein Beispiel für die Nervosität der USA. Sie sollte Schwellenländern wie China mehr Einfluss bringen. Weil die USA die Entscheidung zu lange hinauszögerten, hat China gemeinsam mit Russland, Indien, Brasilien und Südafrika einfach einen eigenen Währungsfonds gegründet. "China braucht so eine Institution", sagt Woods. "Das Land hat große Banken, die international tätig sein werden." So wie der IWF sicherstelle, dass US-Finanzinstitute ihr investiertes Geld nicht verlieren, werde das auch China tun.

Auch der Dollar verliere an internationaler Bedeutung, sagt Woods. Sie geht aber davon aus, dass er weiterhin die unbestrittene Leitwährung sein werde. "Für China wäre es im Moment eine Katastrophe, wenn der Renminbi die Rolle des Dollars übernehmen würde", sagt Woods. Die USA profitieren, weil sie nach Belieben Dollar drucken und damit im Ausland einkaufen gehen können. Gleichzeitig leidet aber die US-Industrie. Im Ausland halten Investoren und Zentralbanken Unmengen an Dollar. Die hohe Nachfrage treibt den Wechselkurs in die Höhe. Chinas Wirtschaft ist aber vom Export getrieben, eine teurere Währung würde sie bremsen.

China international aktiv

In den 1980ern mussten sich viele kriselnde Länder Lateinamerikas an die USA wenden, um finanziell aufgefangen zu werden. Im Gegenzug mussten sie umstrittene Reformen durchführen. Heute ist das anders: Venezuela steht derzeit wieder einmal knapp vor der Pleite. Das Land muss aber nicht vor den USA auf die Knie, sondern wird von China gerettet, das sich im Gegenzug langfristig Rohstoffe sichert.

Auch in Afrika ist das Land sehr präsent. "China will Geschäfte machen, denen ist es egal, was in den einzelnen Ländern politisch geschieht", sagt Anton Pelinka. Der Politikwissenschafter hält es heute nicht mehr für sinnvoll, die Größe von Volkswirtschaften zu vergleichen. Die Politik habe in einer globalisierten Welt immer weniger zu sagen. Und ob ein Konzern aus den USA, China oder Finnland komme, spiele nicht wirklich eine Rolle.

Amerikanisierung

Einen großen Kulturwechsel auf der Weltbühne sieht Pelinka jedenfalls nicht. Die Globalisierung sei, vereinfacht, so etwas wie eine Amerikanisierung. "Chinesen dürfen sich heute individuell bereichern, das ist ja auch amerikanisch". Die englische Sprache werde noch wichtiger werden, glaubt Pelinka. "In China lernen die ambitionierten Jungen Englisch. Genauso in Frankreich und Russland." Künftig könnte außerdem auch Indien aufschließen. China ist derzeit noch doppelt so reich wie Indien. Die Weltbank geht aber davon aus, dass die Wirtschaft des Landes bald schneller wachsen wird als jene Chinas.

Bleiben die USA als wirtschaftliche Nummer zwei oder sogar drei die dominante Kultur? Nicht ganz, sagt Pelinka. Die Schwellenländer werden sich einer globalen Kultur öffnen. "Es ist nicht die Frage, ob die amerikanische Kultur dominiert. Alles wird verfließen." (Andreas Sator, DER STANDARD, 20.1.2015)

Korrektur: In der Grafik ist Russland durchgerutscht. Die russische Volkswirtschaft liegt in der Rangordnung mit 3,3 Prozent der Weltwirtschaftsleistung knapp hinter Deutschland auf Platz sechs.