Christian Petz beim Bierzapfen: auch ein Grund, ab nun in die Gußhausstraße zu pilgern.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Das zartrosa gebratene Kalbfleisch wird mit Dorschleber-Mayonnaise überzogen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Erster Abend bei Christian Petz im Gußhaus, Ende vergangener Woche: Kurz vor 21 Uhr steht der Hausherr hinter der Budel, lächelt still, zapft sich einen Pfiff vom Wiener. Endlich Wirt! Es hat gedauert, bis dieser große Koch sein eigenes Lokal aufmachte, umso mehr scheint er jetzt in dieser Rolle aufzugehen. Und, vor allem: besser zu kochen als je zuvor.

Das Lokal, ein in den 1980er-Jahren schnörkelbieder eingerichtetes, von einem Anwalt verpachtetes Restaurant, erfüllt die Grundbedürfnisse, aber nicht viel mehr. Der – noch – den Rauchern vorbehaltene Schankraum samt kleinem Annex hat den Vorteil, dass es Fenster gibt. Nichtraucher müssen in einem kargen, fensterlosen Raum Platz finden, der mit ein paar an die Wand geklebten Postern dekoriert ist. Dass hier keine Bunkerstimmung aufkommt, ist allein dem gewitzten Umgang des Personals mit den Gästen zu verdanken. Und natürlich dem, was auf die Teller kommt.

Noch mehr als einst auf dem Badeschiff wird hier nämlich offenbar, dass Petz einer der wenigen wirklich großen Köche des Landes ist. Wie am Donaukanal beugt er sich zu ultraklassischen Rezepturen der Wiener Küche hinunter, um sie ebenso sachte wie lässig auf jenes Podest zu heben, das ihnen gebührt. Im Gegensatz zum Badeschiff sind sie hier durchgängig mit großer Präzision exekutiert. Das ist der Vorteil der Kleinheit seiner neuen Bleibe. Der Nachteil ist, dass es verdammt schwer ist, auf die Schnelle einen Tisch zu ergattern.

Die Speisekarte wechselt täglich, man muss aber hoffen, dass sich gewisse Gerichte einen Stammplatz ergattern können. Vitello Dorschato zum Beispiel, eine Variation des piemontesischen Klassikers, die noch viel besser schmeckt, als sie deppert klingt. Dabei ist das Prinzip watscheneinfach, draufkommen muss man halt: Statt Tunfisch mixt Petz Dorschleber in die Mayonnaise, mit der das zartrosa gebratene Kalbfleisch überzogen wird. Das Resultat (siehe Bild) ist eine in höchstem Grad suchtgefährdende, zart jodige Creme, deren kühl-schwüler Wohlgeschmack einen bis in die Träume verfolgt.

Herrliche Schweinerei

Salat von Kalbsfuß und Lauch ist eine ganz milde, zarte, gottvoll schlatzige Komposition, eine Hommage an die legendären Nerveti venezianischer Weinbars – nur viel besser. Grünerbsensuppe (genau, aus der Trockenfrucht!) wird mit Curry und einem Stückl japonistisch lackierten Aals zum Sehnsuchtsobjekt. Milzagnolotti in Salbeibutter angebraten sind eine geile Hommage an die Nudelkunst piemontesischer wie szechuanesischer Mammas – herrlich. Prager Kutteln mit Crabcakes statt fader Knödel dürften jedem Freund guter Innereiengerichte die Sicherungen raushauen: herrliche Schweinerei.

Bröselfisolen mit mehligem Erdapfel und pochiertem Ei sind wahrscheinlich das beste Gericht an diesem Abend, in Reduktion und Perfektion der Ausführung so gut, dass einem die Augen feucht werden. Pfefferkarpfen, mit hyperknuspriger Haut und einer Sauce, die vor Schärfe, süßsaurer Balance und Würzkraft schillert wie ein Regenbogen, darf eigentlich nie von der Speiskarte verschwinden. Wenn aber Backhendl draufsteht, darf das auch nicht unbestellt bleiben: So grandios saftig, fleischig und butterschmalzknusprig wie hier, wo Petz französische Freilandhendln verwendet, schmeckt es nirgends sonst. Die Weinkarte ist mehr als toll, wer dennoch nicht glücklich wird, kann sich um 15 Euro Stoppelgeld aber auch etwas aus dem eigenen Keller mitnehmen. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 23.1.2015)