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FN-Chefin Marine Le Pen: Zuletzt in Umfragen abgestürzt.

Foto:Reuters / Philippe Laurenson

Angst vor den Fremden, Kampf dem Terror, nationale Einheit: Solche Themen sind für Rechtsextremisten aller Länder ein gefundenes Fressen. Und Marine Le Pen scheut sich nicht, lauthals Anspruch darauf zu erheben. Doch nach den Anschlägen auf das Satireblatt "Charlie Hebdo" und den koscheren Supermarkt in Paris steht die Chefin des Front National (FN) plötzlich in der politischen Pampa: Während in Paris und anderswo fast vier Millionen Franzosen zusammenströmten, sah sich Le Pen in das Camargue-Nest Beaucaire verbannt.

An sich wollte die FN-Chefin ebenfalls bei der Pariser Kundgebung auftreten. Präsident François Hollande verhinderte dies aber geschickt. Er empfing sie zwar wie alle Parteichefs, vermied aber eine Einladung zur Demo. Der präsidiale Wunsch galt als republikanisches Gebot, das selbst Le Pen auf dem Höhepunkt der Trauer nicht verletzten durfte.

Blieb also nur Beaucaire, wo der FN den Bürgermeister stellt. Dort kamen aber nur Frontisten zur örtlichen Kundgebung, und sie riefen "Wir sind unter uns!" und "Marine Présidente!" Dieser Wahlslogan klang wie ein krasser Misston im nationalen Solidaritätschor. "Hat Marine Le Pen den Zug verpasst?", fragt "Le Monde" bereits. Die Frontistin wolle weder links noch rechts stehen, weder inner- noch außerhalb des Systems - und sei damit nirgendwo, kommentiert das Pariser Blatt.

Hollande punktet hingegen mit nationalen Appellen und Sätzen wie: "Die französische Flagge bleibt die der Freiheit!" Dagegen kann der konservative Oppositionschef Nicolas Sarkozy nichts einwenden; und auch Le Pen muss die "union sacrée" (nationale Union) befolgen, um sich vor den Präsidentschaftswahlen 2017 als verantwortungsbewusste Patriotin zu geben.

Aus der Reihe tanzt wieder Parteigründer Jean-Marie Le Pen, der in einem russischen Blatt meinte, er sei "nicht Charlie, sondern Karl Martell" - nach dem Besieger eines arabischen Invasionsheeres im Jahr 732 n. Chr. Außerdem übernahm Le Pen senior eine krude Verschwörungstheorie: Die Terroranschläge trügen "die Handschrift der Geheimdienste".

Seine Tochter Marine distanzierte sich wohl oder übel von diesen "verschwommenen und gefährlichen Theorien", wie sie sagt. Schon wird ihr Bemühen um Respektabilität aber durchkreuzt: Ihr internationaler Berater Aymeric Chauprade hält den Islam für eine "sehr schwere Bedrohung" Frankreichs, das "im Krieg mit den Muslimen" stehe. Marine Le Pen erklärte, das sei eine "schreckliche" Aussage, die nicht auf alle Muslime zutreffe. Chauprade, eine prorussische Stimme im FN, verliert jetzt wie alle anderen "persönlichen" Le Pen-Berater seinen Status. Damit sucht Le Pen ihre parteiinterne Autorität wiederherzustellen und zu verhindern, dass die alten FN-Krieger den neuerdings salonfähigen Auftritt der Chefin durchkreuzen.

Solidarische Franzosen

Ihr neues Tief erklärt sich wohl auch mit dem Solidaritätsgefühl vieler Franzosen, die angesichts der Terrordrohung lieber zusammenstehen als Extremen zu folgen. Umgekehrt legt Hollande seit den Pariser Attentaten in den Umfragen stark zu. Französische Medien vergleichen das bereits mit dem Hoch von US-Präsident George W. Bush nach 9/11. Bei den französischen Departementswahlen im März könnte dieser Effekt den Sozialisten helfen.

Bei der Präsidentschaftswahl 2017 sehen die Umfrageinstitute Le Pen aber nach wie vor im zweiten Durchgang. Und dort? Behält der Starautor Michel Houellebecq mit seinem Roman "Unterwerfung" recht, wird sie 2017 in der Stichwahl gegen Hollande verlieren. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 21.1.2015)