Wahlrecht ist gemeinhin eher eine trockene Angelegenheit. Nicht so in Niederösterreich. Man wäre versucht, über so manches zu schmunzeln, ginge es nicht um höchst bedenkliche Praktiken.

Erstens: In Niederösterreich haben Zweitwohnsitzer ein Stimmrecht. Wunderlicherweise kommen dadurch am Sonntag bei der Gemeinderatswahl Funktionäre verschiedener Parteien in den Genuss der Stimmabgabe an mehreren Orten. Eine Stimme pro Hauptwohnsitzer wäre eine eindeutige Sache - nicht umsonst ist das in sieben Bundesländern der Status quo.

Zweitens sorgen vor jeder Wahl Methoden des Stimmenfangs für Aufregung: So mancher Ortschef wirbt für Stimmen bei der "Bürgermeisterwahl", wenngleich der Bürgermeister erst vom Gemeinderat ernannt wird. Hinzu kommen Plakate mit großen Konterfeis und verschwindend kleinen Parteilogos. Gerne erhebt die politische Konkurrenz dann den Vorwurf der Wählertäuschung.

Drittens ist da noch die Wahl selbst: Von Parteien selbst gefertigte, zuvor persönlich übergebene Stimmzettel zählen dabei genauso wie amtliche Stimmzettel. Ihre Auswertung erfolgt doppelt: amtlich und - im Falle eines Vorzugsstimmensystems - auch parteiintern. Dabei mag schon alles mit rechten Dingen zugehen, denn rechtlich gedeckt sind diese Praktiken. Doch für Missbrauch sind die Türen deutlich weiter offen als anderswo. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 22.1.2015)