In den USA wird seit 2009 davor gewarnt, dass QE die Inflation anheizen wird. Das ist seit sechs Jahren konsequent falsch.

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Am Donnerstag sind alle Augen auf die EZB gerichtet.

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Ein Obdachloser in Madrid. Viele Ökonomen warnen vor einer Deflationsspirale. In Spanien sinkt das Preisniveau seit Monaten.

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Wien - Der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt könnte am Donnerstag ein Schicksalstag bevorstehen. Analysten erwarten, dass die EZB ein umstrittenes Kaufprogramm von Staatsanleihen beginnt. Dabei könnte die Zentralbank Staatspapiere im Wert von 50 Milliarden Euro pro Monat erwerben. Ziel ist es, eine Deflation zu verhindern.

Der prominente US-Ökonom Barry Eichengreen äußerte sich im Vorfeld der Entscheidung äußerst skeptisch. "Die EZB wird eine begrenzte Initiative starten und der deutschen Öffentlichkeit versichern, dass sie nicht die Hölle zur Hyperinflation aufstoßen will. Nach und nach werden die Notenbanker stärker eingreifen. Aber mit Babyschritten bekämpft man keine Deflation", sagte Eichengreen dem STANDARD.

STANDARD: Die Europäische Zentralbank (EZB) erwägt, ihre Bilanzen aufzublähen und massiv Staatsanleihen zu kaufen. Was halten Sie von einem solchen Quantitative Easing (QE)?

Eichengreen: Ich denke, QE ist wichtig für Europa, wird aber die Probleme des Kontinents nicht allein lösen. Es besteht derzeit die Gefahr einer Deflation im Euroraum. Wenn diese kommt, wird sich das Wachstum abschwächen. Dann droht Europa eine weitere Rezession, die dritte seit 2008. Ein ernst gemeintes Eingreifen der EZB kann das verhindern, allerdings nur wenn die Regierungen zeitgleich ein Investitionsprogramm schnüren, also mehr Geld in Infrastrukturprojekte stecken, damit die Nachfrage angekurbelt wird.

STANDARD: Sie sagen, die EZB müsse es ernst meinen. Was heißt das konkret?

Eichengreen: Die US-Notenbank Fed hat drei Anläufe bei QE unternommen: Das erste Mal hat sie 2008 angekündigt, Wertpapiere für eine begrenzte Zeit und in begrenztem Umfang zu kaufen. Das hat nichts bewirkt. Das zweite Mal, 2010, ist das Gleiche geschehen. Erst beim dritten Anlauf im September 2012 hat es geklappt: Damals hat die Fed versprochen, so lange zu intervenieren, bis eine nachhaltige Erholung der Wirtschaft einsetzt. Das hat gewirkt - die Konjunktur hat angezogen. Es gibt auch abseits dieses Falles Belege, dass QE dann funktioniert, wenn es ein volles, uneingeschränktes Bekenntnis der Notenbanker zum Handeln gibt. Das lehren auch die 1930er-Jahre.

STANDARD: In den 30ern wurde Quantitative Easing betrieben?

Eichengreen: Es wurde nicht so genannt, lief aber auf das Gleiche hinaus. Franklin D. Roosevelt wurde zum Präsidenten gewählt und übernahm prompt die Geldpolitik von der Fed und führte sie vom Finanzministerium aus weiter. Die Fed kaufte zwar keine Staatsanleihen, aber das von den Bürgern gehaltene Gold - mit gleicher Wirkung wie QE. Präsident Roosevelt sorgte dafür, dass sich der Dollarkurs binnen neun Monaten um 33 Prozent abschwächte. Nach drei Jahren Deflation begannen die Preise endlich zu steigen.

STANDARD: Als Gegenbeispiel gilt Japan. Die japanische Notenbank hat in den 90er-Jahren erfolglos eingegriffen.

Eichengreen: Ja, aber die Finanzpolitik ist lange nicht mitgezogen. Das hat sich erst kürzlich geändert. Das ist die zweite Lehre: Wenn Regierungen nicht zusätzliches Geld in die Hand nehmen, funktioniert QE nicht. Nun hat in der EU Kommissionspräsident Juncker im Dezember ein Investitionsprogramm angekündigt. Frankreich und Italien dürfen ihre Budgets etwas flexibler gestalten. Aber Europa hat noch nicht genug getan, um die Menschen davon zu überzeugen, dass es den Kampf gegen Deflation ernst meint.

STANDARD: Es gibt Ökonomen, die sagen, eine milde Deflation wäre kein Problem, besonders wenn das Preisniveau sinkt, weil der Ölpreise sinkt.

Eichengreen: Ich würde eher sagen: Es ist Zeit für Panik. Im Ernst: Sogar wenn man den Einfluss des Ölpreises außer Acht lässt, ist Europa gefährlich nahe an einer Deflation. Nun gab es im 19. Jahrhundert tatsächlich eine gesunde Deflation in den USA, also eine, die mit Wachstum verträglich war. Damals wurde der Westen des Landes besiedelt. Die Lebensmittelproduktion stieg stark an. Es war die Zeit der Industrialisierung. Das Warenangebot weitete sich drastisch aus. Weil die Nachfrage gleich blieb, führte dies zu fallenden Preisen. Aber Europas Problem ist nicht ein größer werdendes Angebot, sondern die zu niedrige Nachfrage von Konsumenten und Unternehmen. Selbst eine milde Deflation ist also gefährlich. In einem deflationären Umfeld werden Investitionen und Konsumentenausgaben zurückgehalten, die Gehälter sinken.

STANDARD: Hat die EZB genug Spielraum, um entschlossen zu handeln?

Eichengreen: Meine Befürchtung ist: Die EZB wird eine begrenzte Initiative starten und der deutschen Öffentlichkeit versichern, dass sie nicht die Hölle zur Hyperinflation aufstoßen will. Nach und nach werden die Notenbanker stärker eingreifen. Aber mit Babyschritten bekämpft man keine Deflation. Damit lässt sich die Erwartungshaltung der Menschen nicht ändern, und das ist der Schlüssel für den Erfolg von QE: Die Menschen müssen glauben, dass keine Deflation kommt, dass die EZB alles tut, um sie zu verhindern.

STANDARD: Eine Furcht ist, dass die EZB die Inflation zu stark anheizen wird, wenn sie Geld druckt.

Eichengreen: In den USA wird seit 2009 davor gewarnt, dass QE die Inflation anheizen wird. Das ist seit sechs Jahren konsequent falsch. Welche Belege braucht es noch? In einem deflationären Umfeld mit hoher Arbeitslosigkeit gilt die Verbindung, wonach die Größe einer Notenbankbilanz die Inflation bestimmt, nicht mehr. Ob die EZB und die Fed ihre Bilanzen wieder zum Schrumpfen bringen können, ist eine Frage für eine entfernte Zukunft. Ich glaube, sie verfügen über Instrumente, um Inflation im Ernstfall einzudämmen.

STANDARD: Sie haben soeben ein Buch über die Lehren aus der Geschichte für die aktuelle Krise veröffentlicht. Was ist die große Lehre?

Eichengreen: Interessant ist, welche Lehren nicht gezogen werden. Ich verstehe bis heute nicht, warum die Hyperinflation der 1920er-Jahre die Einstellungen der europäischen Politiker stärker beeinflusst als die Arbeitslosigkeit, Sparpolitik und die Deflation der 1930er-Jahre. Wir wissen, welche Folgen die Krise in den 30ern hatte. (András Szigetvari, DER STANDARD, 22.1.2015)