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"Ich bin Charlie": Nach den Anschlägen in Frankreich solidarisierten sich viele mit den Opfern.

Foto: EPA/CHRISTOPH SCHMIDT

Es ist durchaus zu hinterfragen, warum diverse Politiker an den Trauerfeiern nach den Anschlägen in Frankreich teilgenommen haben.

Tatsache ist, soweit man dies als Beobachter aus der Ferne feststellen kann, dass die mehr als 1,5 Millionen Franzosen, die auf die Straßen gingen, ein Zeichen setzten wollten. Dafür, dass man sich eben nicht durch die schändlichen Taten einiger, nennen wir Sie ruhig Terroristen, zur Abkehr vom Rechtsstaat verleiten lässt - und in einer pervertierten Art von vorauseilendem Gehorsam die Bürgerrechte aushebelt. Auch wenn der eine oder andere europäische Politiker nach seiner Rückkehr vom Katastrophentourismus nichts Besseres vor hatte als genau das zu versuchen.

Rechtsstaatlichkeit

"Österreich"-Herausgeber Wolfgang Fellner schreibt in seiner Kolumne vom 16. Jänner, "es kann nicht sein, dass unsere Richter aus falsch verstandener 'Rechtsstaatlichkeit‘" Djihad-Verdächtige "auf freien Fuß setzen".

Ich kenne Fellners Auffassung vom Rechtsstaat nicht so genau. Wenn sie aber, wie angedeutet, einschließt, dass nicht jedem Angeklagten die optimale Verteidigung zusteht, so mag es zwar eine Auffassung sein, diese hätte aber mit Rechtstaatlichkeit doch eher wenig zu tun.

Bestmögliche Verteidigung für Angeklagte

Daher vermag ich auch nicht zu verstehen, warum es denn, in welcher Weise auch immer, für einen Anwalt oder auch dessen Anverwandte, peinlich sein sollte, wenn er einem Angeklagten eben diese bestmögliche Verteidigung zukommen lässt.

Ein Journalist, der sich der rhetorischen Figur des "ich will ja nix sagen, aber ..." bedient, nur um dann genau das zu sagen, sollte sich sein Lehrgeld zurückgeben lassen. Wie sonst soll ich den Satz – "Natürlich gibt es keine Sippenhaftung und kann der Präsident für seinen Schwager nicht verantwortlich gemacht werden. Aber die politische Optik … " – verstehen? Glauben Sie mir, mit meinem Familiennamen bin ich in politischen Diskussionen nur allzu oft mit dieser Form der Sippenhaftung konfrontiert.

Familiengeschichte

Zwar kenne ich die Familiengeschichte der Fischers zu wenig, aber genau genommen gibt es da zwei Möglichkeiten:

a) Herr Dr. Binder war schon Anwalt, als seine Schwester Heinz Fischer geheiratet hat. Hätte der dann entscheiden müssen: "Ich liebe dich zwar Margit, aber mit dem Bruder kann ich Dich nicht heiraten" oder

b) Herr Dr. Binder wurde erst später Anwalt. Hätte sich der Politiker Heinz Fischer dann spontan scheiden lassen müssen, um Fellner gerecht zu werden? Warum sollte es eine Katastrophe sein, wenn dieser Anwalt der Schwager des Bundespräsidenten ist?

Wer solchermaßen Sippenhaftung und Aufhebung rechtsstaatlicher Grundsätze das Wort redet, hat das Recht auf das in diversen Onlinevarianten seiner Kolumne beanspruchte "Je suis Charlie" gründlich verwirkt. (Thomas Höbelt, derStandard.at, 22.1.2015)