"Unsinnige Anweisungen und Regeln" gibt es bei den ÖBB, kritisiert ein 17-jähriger User und schildert seine persönlichen Erfahrungen mit den Österreichischen Bundesbahnen in einem offenen Brief an den ÖBB-Chef. derStandard.at hat nachgefragt, warum der Service anders als vom Kunden erwartet ablief. Alles begann mit einer Zugsfahrt von Linz nach Innsbruck – und einer verlorenen Geldbörse.

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Foto: REUTERS/Toby Melville

Felix Kastner, Schüler

Immer wieder hört man von ÖBB-Chef Christian Kern, dass die ÖBB die Nähe zum Kunden sucht.

Möglichkeit 1: Der ÖBB-Chef will wirklich die Nähe zum Kunden fördern und glaubt, der Kundenservice der ÖBB ist gut. Dann muss ich ihm leider sagen, dass der Kundenservice der ÖBB nicht schlecht ist, sondern schlichtweg einfach nicht vorhanden.

Möglichkeit 2: Er meint diese Aussagen nicht ernst und will nur das Image der ÖBB verbessern. Sollte das der Fall sein, bestätigt er für mich nur mein momentanes Bild auf Konzernchefs und Politiker (Stichwort: alles schönreden).

Möglichkeit 3: Er will wirklich ein kundenfreundliches Unternehmen, aber ihm fehlt der Input der Kunden.

Das Problem liegt in meinen Augen nicht an der Freundlichkeit oder der Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, aber die meisten Mitarbeiter machen auf mich in diesem Punkt einen guten Eindruck.

Mitarbeiter befolgen nur Anweisungen

Das Problem liegt darin, dass die Anweisungen und Regeln, die aufgestellt werden, unsinnig sind. Die Mitarbeiter befolgen nur Anweisungen von Vorgesetzten.

Um meine Aussage zu untermauern, werde ich meine ganz persönlichen Erfahrungen mit dem Kundenservice der ÖBB schildern.

Ich reise regelmäßig von Linz nach Innsbruck. Rechnet man meine Ausgaben zusammen, kommt man in den vergangenen fünf Monaten auf etwa 600 Euro.

Anfang Jänner steige ich also wieder in den Zug. Um die Fahrscheinkontrolle zu beschleunigen, positioniere ich diesen zusammen mit meiner Geldbörse im Netz beim Sitz. Als der Schaffner kommt, zeige ich nur schnell mein Ticket und die Vorteilscard her und schlafe gleich wieder weiter.

Leider habe ich beim Aussteigen meine Geldbörse vergessen. Das ist mir ein paar Minuten später aufgefallen, und natürlich bin ich erst einmal ziemlich wütend auf mich selbst.

Um meine Geldbörse mit all meinen Ausweisen wiederzubekommen, rufe ich sofort den Kundenservice der ÖBB an und schildere mein Problem. Ich erhoffe mir, dass der Mitarbeiter den Schaffner kontaktiert und dieser meine Geldbörse holen würde. Doch der Mitarbeiter meint, dass es nicht möglich sei, den Zug anzufunken. Nach kurzem Gespräch wird mir erklärt, dass der Schaffner nur in Notsituationen angefunkt werden dürfe, etwa wenn ein Kind vermisst wird.

Dieser Anruf hätte allerhöchstens eine Minute gedauert und der Weg zum Sitzplatz noch einmal wenige Minuten. Wenn ich sehr großzügig aufrunde, komme ich auf maximal fünf Minuten Zeitaufwand. Leider ist das nicht möglich gewesen, und darum habe ich jetzt einen etwas höheren Zeitaufwand. Ich muss

  • das Servicecenter "Lost + Found" immer wieder kontaktieren, ob meine Geldbörse gefunden worden ist,
  • meine Karten sperren lassen,
  • eine Verlustanzeige machen,
  • alle Ausweise wieder neu anfordern und Bearbeitungsgebühren bezahlen und
  • Fundämter kontaktieren, falls meine Geldbörse nicht bei der ÖBB abgegeben worden ist.

Wie Sie sehen, ist mein Zeitaufwand hier um einiges höher. Ich habe alleine in den letzten fünf Monaten 600 Euro in die ÖBB investiert und bekomme kein bisschen Service dafür. Alles was ich bekomme, ist eine Fahrt von Linz nach Innsbruck.

Felix Kastner (17) ist ein Schüler aus Oberösterreich.

Michael Braun, ÖBB-Pressesprecher

Dass sich der Zugbegleiter nicht selbst auf die Suche nach den verlorenen Gegenständen machen kann, ist nur auf den ersten Blick unverständlich. Folgendes Beispiel zeigt klar, warum das nur in absoluten und ernsten Ausnahmefällen – wie eben vermisste Kinder – möglich ist: Ein Zug fährt von Linz über St. Pölten nach Wien. Ein Reisender steigt in St. Pölten aus und vergisst dabei seine Geldtasche. Das bemerkt er erst, als er sein Busticket kaufen möchte. In der Zwischenzeit

  • hilft der Zugbegleiter Kunden beim Ein- und Aussteigen (gebrechlichen Personen, alleine reisenden älteren Menschen und/oder Damen mit schwerem Gepäck, Familien mit viel Gepäck),
  • er achtet darauf, dass der Zug pünktlich weiterfahren kann und
  • muss den Zug für die Abfahrt abfertigen.

Sobald der Zug rollt,

  • hilft er ungeübten Bahnfahrern, ihren/einen geeigneten Sitzplatz zu finden, älteren Menschen und wenn möglich, beispielsweise auch Damen mit schwerem Gepäck, ihr Gepäck zu verstauen, sodass andere Fahrgäste den Gang problemlos benützen können,
  • kontrolliert er die Tickets aller zugestiegenen Fahrgäste in allen Waggons und stellt gegebenenfalls Tickets erstmals aus (im Fernverkehr) oder ermöglicht einzelnen Fahrgästen Upgrades in die nächsthöhere Klasse.
  • Dazu steht er allen Fahrgästen für Fragen zu ihrer Fahrt zur Verfügung, Weiterreisemöglichkeiten, Umsteigemöglichkeiten – die er nicht immer bei der Hand haben kann und hie und da auch selbst nachschauen muss.
  • Er muss dann rechtzeitig über das Bordmikrofon den nächsten Halt mit den relevanten, aktuellen Informationen ankündigen (die er erst einholen muss) und
  • kann natürlich einige Minuten vor dem Halt des Zugs im nächsten Bahnhof nicht mehr durch den Zug durchgehen, weil die Fahrgäste mit ihrem Gepäck ja schon bei den Türen auf das Aussteigen warten.

Dies alles in 25 Minuten Fahrzeit von St. Pölten nach Wien. Selbst wenn die Fahrzeit auch mal länger ist, kann der Zugbegleiter nicht durch den Zug gehen, um einfach herrenlose Gegenstände einzusammeln. Denn es sind ja auch nicht alle Fahrgäste jederzeit an ihrem Sitzplatz, sie können sich beispielsweise im Speisewagen oder am WC aufhalten oder einen Waggon weiter bei einem zufällig ebenfalls mit diesem Zug fahrenden Bekannten zum Plaudern "vorbeischauen". Und selbst wenn alle Fahrgäste an ihren Plätzen sitzen sollten: Es ist für den Zugbegleiter nicht möglich, alle Gegenstände, die sich im Waggon befinden, einzelnen Reisenden zuzuordnen, denn dazu müsste er ja jeden Zugreisenden im gesamten Zug stören und diesen bitten, zu erklären, was ihm gehört und was nicht.

Die Praxis zeigt auch, dass die meisten Reisenden, die ihren Gegenstand verloren haben, die Waggonnummer und Sitzplatznummer nicht oder nicht mehr richtig in Erinnerung haben. Und wir haben bei all diesen Gründen noch gar nicht die Möglichkeit beleuchtet, dass andere Reisende den zurückgelassenen Gegenstand an sich genommen haben – entweder um sich zu bereichern oder um ihn selbst im Fundbüro abzugeben.

Ich bitte also zusammenfassend um Verständnis, dass wir aus all diesen Gründen die Züge nicht wie gewünscht absuchen können. Das ist in der Praxis – auch wegen der 1,3 Millionen Fahrgäste pro Tag in unseren Zügen – einfach nicht machbar. Ich kann nur appellieren: Auch wenn sich die Fahrgäste an Bord unserer Züge wohlfühlen, soll das nicht dazu verleiten, Wertgegenstände frei liegen zu lassen. Da gibt es beim Bahnfahren keinen Unterschied zu anderen Verkehrsmitteln, sei es eine Fahrt mit der U-Bahn oder eine Reise per Flugzeug.

(derStandard.at, 2.2.2015)