Es ist ein medizinisches Paradoxon: Obwohl seit Monaten vor dem Kollaps gewarnt wird, funktionieren die Spitäler noch. Alles nur Panikmache der Ärzte?

Nein. Auf der einen Seite gibt es Politiker wie den oberösterreichischen Landeshauptmann Josef Pühringer, der wenig hilfreiche Argumente hervorbringt. Im Streit um die Ärztegehälter zeigt er auf Spitzenverdiener, Primare mit Jahreseinkommen von 900.000 Euro. Das ist absurd viel Geld, keine Frage. Aber Jungärzte gegen Spitzenverdiener auszuspielen ist populistisch. Gleichzeitig forciert der Landeshauptmann sein Lieblingsprojekt, eine medizinische Fakultät in Linz, die gegen den Ärztemangel in Oberösterreich helfen soll. Denn auch dafür wird er Ärzte brauchen, die ausbilden. Und die gibt es nicht billig.

Auf der anderen Seite steht die Ärztekammer: Seit Monaten ist sie alarmiert, warnt vor Abwanderung und den schlechten Arbeitsbedingungen. Glaubt man der Ärztekammer, ist der Spitalsarzt eine aussterbende Spezies. Das ist billige Standespolitik.

Beides ist übertrieben. Pühringer hat bewusst eine Neiddebatte gestartet. Es gibt auch unter Ärzten Spitzenverdiener, aber die sind die Ausnahme, nicht die Regel. Und der Spitzenverdienst ist nur deswegen möglich, weil es das absurde System eines vergleichsweise niedrigen Grundgehalts gibt, das sich die Ärzte eben durch Zulagen und Nebentätigkeiten aufbessern können. Das System kennt Pühringer und hat es als Landeshauptmann toleriert. Das jetzt den Ärzten vorzuwerfen ist unklug.

Aber auch die Ärztekammer kennt das System seit langem und hat es zur Kenntnis genommen. Erst als wirklich klar war, dass durch das Ärztearbeitszeitgesetz die Ärzte sehr viel schlechter aussteigen, hat sie die Spitalsärzte als Klientel entdeckt.

Doch dabei sollte der Fokus in der Mitte liegen. Es geht um die Spitalsärzte, die ruhige Nachtdienste nur vom Hörensagen kennen und bisher mehr als 60 Stunden pro Woche gearbeitet haben. Geht es ihnen ums Geld? Ja, auch. Aber den meisten geht es um den Widerspruch, dass zwar ihre Arbeitszeit beschränkt wird, der Patientenansturm und die damit verbundene Arbeit aber nicht. Das frustriert.

Diese Ärzte sind nicht die Spitzenverdiener, sie haben keine Zeit für Privatordinationen, sie müssen das System ausbaden. Und wenn das System krankt, hat das auch Folgen für die Kranken. (Marie-Theres Egyed, DER STANDARD, 23.1.2015)