Die Gesellschaft interessiert sich eher wenig für Nachhaltigkeit und viel für andere Dinge, Werte und Ideen. Was die Angelegenheit erschwert: Vor lauter Bäumen wie Bildung, Innovation, Gemeinwohl, Wachstum und Postwachstum scheint der Wald "Nachhaltigkeit" oft gar nicht mehr sichtbar. Und: Der Diskurs ist in den vergangenen Jahren immer hermetischer geworden.

Wenn man genau zu wissen glaubt, wie das mit der Nachhaltigkeit laufen muss, ist man nicht sehr gut aufgestellt, um die Sache in einer komplexen Gesellschaft voranzubringen. Man müsste sich nachhaltig für die Gesellschaft interessieren, die sich nachhaltig entwickeln soll. Was tun?

Kollateralnachhaltigkeit

Nun: Es ist immer einen Versuch wert, die Nachhaltigkeit dort zu suchen, wo man sie nicht vermutet. Wir wissen, dass Nachhaltigkeit nicht überall drin ist, wo sie draufsteht - etwa in manchen Nachhaltigkeitsberichten. Aber umgekehrt gilt auch: Nachhaltigkeit kann man dort finden, wo sie gar nicht Thema ist. Kollateralnachhaltigkeit sozusagen. Gibt es etwas "Nachhaltigeres" als Eleanor Rigby von den Beatles oder Elvis' Version von Suspicious Minds? Und doch ist nicht überliefert, dass sich die Fab Four oder der King jemals um die "Nachhaltigkeit" ihrer Arbeit geschert hätten.

Suchen wir also die Nachhaltigkeit nicht nur in CSR-Berichten, Mission-Statements und Zukunftsstudien, sondern ganz woanders. In Texten von Thomas Bernhard. In Liedern von Udo Jürgens. In Kunstwerken von Francis Alÿs. Oder im Kino. Elysium mit Matt Damon macht anschaulich, wie hässlich eine nichtnachhaltige Welt aussähe. Bong Joon-hos Snowpiercer vermittelt ein Bild der Verteilungskämpfe, die der Klimawandel herausbeschwören könnte. In Citizenfour kann man von Edward Snowden etwas über Zivilcourage lernen - eine Schlüsseltugend, wenn es um Nachhaltigkeit geht.

Kein autistischer Diskurs

Die Inspiration, die man sich hier holen kann, scheint mir weitaus wichtiger zu sein als ein stetiges Mehr an Information. Na und? Sollen wir jetzt alle mehr ins Kino gehen? Ja! Aber das ist hier nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es gedankliche Lockerungsübungen und Neugierde braucht, wenn die Nachhaltigkeit den Weg vom leicht zustimmungsfähigen Zauberwort zu einem wirksamen Leitbild in Politik und Wirtschaft und in Bildung und Beruf schaffen soll. Der mitunter fast autistische Diskurs über Nachhaltigkeit bedarf der Öffnung. Dringend. Wie das praktisch aussehen kann, vermittelt eine internationale Initiative von Studierenden, die eine Öffnung des volkswirtschaftlichen Studiums verlangen.

Nachhaltigkeit steht hier gar nicht im Vordergrund, sondern der Wunsch nach einem besseren und relevanteren Studium - und gerade dadurch erweist die pluralistische Bewegung der Nachhaltigkeit einen großen Dienst: Eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung, die nicht nur einen Ausschnitt ökonomischen Wissens vermittelt, sondern die gesamte Vielfalt volkswirtschaftlicher Ideen, tut nicht nur Studierenden gut, sondern gewiss auch der Gesellschaft, in der sie dann Verantwortung in Funktionen tragen.

Pluralismus ist - nicht nur in der Wirtschaft - das beste Mittel gegen einen engstirnigen Populismus der einfachen "Lösungen". Was passiert, wenn Leute glauben, die reine Wahrheit zu kennen, hat die Geschichte wohl hinreichend gezeigt, so wie auch die Ereignisse der vergangenen Wochen dies zeigen. (DER STANDARD, 24./25.1.2015)