Dass der Mensch Sprache hat, sie als Bild gestaltet und mittels ihrer kommuniziert, ist das Geheimnis. So die "konkrete Botschaft" Eugen Gomringers, der 1925 als Sohn einer Bolivianerin und eines Schweizer Kaufmanns in Bolivien geboren wurde.

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Es gibt komplexe Zusammenhänge, die sich durchaus in einfacher Form darstellen lassen. Nur können muss man es. Der Dichter Eugen Gomringer kann es: "baum / baum kind / kind / kind hund / hund / hund haus / haus / haus baum / baum kind hund haus". Das ist eine "Konstellation" von Worten, wie es die Verfechter der konkreten Poesie nennen. Das versteht jedes Kind, nur wir Erwachsenen verdrehen die Augen, weil wir vom Wortschwall, der täglich als Kommunikation auf uns niederprasselt, zu komplex und zu kompliziert denken.

"Baum, Kind, Hund, Haus. Das nenne ich meine Weltanschauung. Der 'Baum' als verwurzeltes Wesen, unbeweglich; 'Kind', der Mensch; 'Hund', das gezähmte Tier, mit vier Beinen; und das 'Haus' als erstes Kunstwerk des Menschen - Schutz und Kunstwerk. Die vier bilden eigentlich immer noch so den Umfang des menschlich Notwendigen." Wenn Eugen Gomringer etwas erklärt, dann tut er es immer noch mit Verve. Sein Alter merkt man ihm sowieso nicht an.

Eugen Gomringer lacht gerne. Und wie es sich für einen Eidgenossen gebührt, lacht er ein bisschen in sich hinein - es ist eine Art calvinistischer Humor. Gomringer versteht sich selbst als international gesinnten Künstler und Menschen. Das betrifft auch seinen Lebensweg. Er wurde 1925 als Sohn einer Bolivianerin und eines Schweizer Kaufmanns in Bolivien geboren. Das Studium der Kunst- und Literaturgeschichte nahm er aber in der Schweizer Heimat auf, in Bern. Anfang der 1960er-Jahre holte Max Bill Gomringer an die Ulmer Hochschule für Gestaltung. Bei diesem radikalen Architekten und Designer lernte er die Gestaltungsziele des Bauhauses kennen, vor allem aber, was "konkrete Kunst" ist.

Diese Kunstrichtung, die auf mathematisch-geometrischen Grundlagen beruht, ist denn auch in ihren minimalistischen Zügen Vorbild für die spätere konkrete Poesie. Gomringer war dann auch jahrelang als Professor für Ästhetik an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf tätig und als Kulturbeauftragter der Rosenthal AG. Gomringers Chef, der Unternehmer Philip Rosenthal, soll zu ihm einmal gesagt haben: "Ihre Möglichkeiten sind die des Indianers, ihre Grenzen die des Schweizers."

Bedeutung des Wortes im Raum

Man sieht: Das bildliche, gestalterisch-visuelle Element spielt bei Gomringer von Anfang an eine gewichtige Rolle. Im Laufe der Jahre hat er mit bildenden Künstlern wie Günther Uecker oder Gisela von Bruchhausen zahlreiche Mappenwerke realisiert, indem Elemente der Malerei und der Grafik Symbiosen mit der Schrift bilden. Beim Betrachten dieser Werke wird ganz offensichtlich, wie sehr das Wort Kunst-Ausdruck sein kann. 1954 schrieb Eugen Gomringer den theoretischen Text Vom Vers zur Konstellation. Dieser gilt als Gründungsmanifest der konkreten Poesie. Bald scharten sich um Gomringer viele Mitstreiter: Helmut Heißenbüttel, Franz Mon, Dieter Roth, Gerhard Rühm und Ernst Jandl - um nur einige Namen zu nennen.

Gomringer gilt heute als "Vater" der konkreten Poesie. Es gibt hier mehrere Verfahren: etwa "Ideogramme", bei denen die Buchstaben- oder Wortfolgen ein visuelles Bild ergeben. Der wohl wichtigste poetische Begriff für Gomringer ist die "Konstellation". Das ist eine Gedichtform, bei der wenige Wörter aufs Papier gruppiert werden. Somit wird die Syntax ausgehebelt, die Bedeutung der Worte wird durch ihre Position im Raum konstituiert. das schwarze geheimnis ist ein solches Gedicht.

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Das "schwarze Geheimnis" bleibt eines auf der Bildebene, obwohl es in Sprache ausgesprochen wurde. Dass der Mensch Sprache hat, sie als Bild gestaltet und mittels ihrer kommuniziert, ist das Geheimnis. So die "konkrete Botschaft" Gomringers.

Schon früh war Gomringer mit den Vertretern der Wiener Gruppe eng verbunden. "Das war anfangs vielleicht die beste Gesellschaft", meint er heute. Gomringer stand zu Beginn der konkreten Poesie etwas abseits, damals im fernen Bern. "Der Artmann kam mal zu mir auf Besuch nach Bern. Und ich habe dann einen Gegenbesuch gemacht nach Wien. Da gab es gleich enge Beziehungen, zu Achleitner und Rühm, später kamen dann noch Jandl und Gappmayr dazu. Und diese Beziehung ist ja auch geblieben."

Eine Beifallsbekundung der besonderen Art erlebte Gomringer im Innsbruck der 1950er-Jahre: "Zur Lesung war auch der junge Peter Handke gekommen, so in einem Lodenjanker. Er hat genau zugehört. Das waren für damals ganz neue Sachen, die ich vorgetragen habe - starker Tobak! Und als ich am Schluss vom Publikum richtig ausgebuht wurde, ist Handke aufgestanden und hat gerufen. 'Halt! Halt! Da ist was dran!'"

Die umfangreichste Konstellation, die Eugen Gomringer geschrieben hat, ist das stundenbuch von 1965. Diesen Text kann man durchaus eine "meditative Konstellation" nennen: Das Sein der Dinge, ihr Wesen, wird hier angesprochen. Und der Leser oder Hörer soll sich in dieser Wort-Welt zurechtfinden. "Das sind für mich Grundanfänge, so wie Meister Eckhart: 'Gott ist Sein'. Also diese harten Fragen", so Gomringer. Die 24 Begriffe, die im stundenbuch permutiert werden, reichen von ganz konkreten Worten wie "leib" oder "baum" über Begriffe des Gedichts wie "wort" und "lied" bis zu Abstrakta wie "geist" oder "trauer". Zusammengehalten wird das Ganze durch die Possessivpronomina "dein" und "mein".

Das ergibt dann einen Sprachkosmos, der nicht bloß auf ein Ich und seine Weltwahrnehmung reduziert ist, sondern den Anderen - das angesprochene "du" - in diese Welt mit einschließt: "dein mein leib / dein mein blick / deine meine kraft / deine meine freude / deine meine trauer / dein mein schweigen".

Im Hier und Jetzt

Eugen Gomringer lebt heute mit seiner Frau Nortrud in Rehau. Das liegt in Oberfranken nahe der tschechischen Grenze. Mitten in der Altstadt befindet sich das Institut für konstruktive Kunst und konkrete Poesie. Die Stadtväter haben Gomringer das alte Schulhaus als Institut und Wohnung zur Verfügung gestellt. Bis zu sechs Ausstellungen gibt es im Jahr. Die umfangreiche Kunstsammlung Gomringers kann man freilich auch bewundern. Eugen Gomringer tritt noch immer gern bei Lesungen auf.

Seit einigen Jahren hat es ihm die strenge Gedichtform des Sonetts angetan. Rund hundert Sonette harren der Publikation. Zuzeiten liest er auch gemeinsam mit seiner Tochter Nora Gomringer. Sie seien dann auf dem Podium wie die zwei älteren Herrn Waldorf und Statler aus der Muppet Show, hat Nora Gomringer einmal gesagt. Natürlich ist der Vater auf seine Tochter als erfolgreiche Lyrikerin stolz. Doch für Gomringer sei es sowieso klar gewesen, dass die Tochter lautstarke Poetin werden würde. Denn schon als Kind hätte sie gewusst, sich in Szene zu setzen, etwa als Zweijährige in New York bei Andy Warhol.

Man sieht also: Die Gomringers lieben das Einfache, das klar Strukturierte, ja, das Bodenständige der Sprache, doch ihr Kunstsinn ist international gestimmt. Und eines ist auch sicher: Eugen Gomringer weiß, was er will - und was er in der Kunst gestalten kann. Er weiß genau, was und wie er es sagt, und lässt keinen Zweifel daran, dass er und seine Poesie ganz da sind, zeitgemäß im Hier und Jetzt. (Andreas Puff-Trojan, Album, DER STANDARD, 24/25.1.2015)