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Statt Vollnarkose kann Regionalanästhesie vor allem bei orthopädischen Operationen eine interessante Alternative sein. Das Problem: die oft mangelhafte Ausbildung von Anästhesisten.

Foto: Tim Pannell/corbis

Es war die berühmt-berüchtigte letzte Abfahrt. Eigentlich war die Mutter schon etwas schlapp, doch der zwölfjährige Sohn wollte noch einmal den steilen Tiefschneehang hinunterwedeln. Also raffte sich Mama auf, begleitete ihr Kind und stürzte. Die Diagnose: komplizierte Fraktur des rechten Oberarms schultergelenksnah. Muss operiert werden, allerdings nicht unter Vollnarkose, sondern mit Regionalanästhesie. Die Verletzte stimmte der Wahl der Betäubung zu, ohne nachzudenken.

Nebenwirkungen vermeiden

Im Nachhinein war diese Variante der Betäubung für die Patientin eine gute Entscheidung: Es kam zu keiner postoperativen Übelkeit, wie sie nach Vollnarkosen oft üblich ist und an der die Mutter auch litt, als ihr ein Jahr später im Heimatspital der Nagel aus dem Oberarm wieder entfernt wurde.

Die Vermeidung dieser Nebenwirkung sei nicht das einzige Plus, sagt Wolfgang Voelckel, Leiter des Instituts für Anästhesie und Intensivmedizin am AUVA Traumazentrum Salzburg. Die Vorteile der Regionalanästhesie: keine postoperative Verwirrtheit, mehr Schmerzfreiheit, daher Reduktion der Schmerzmittel, bessere Wundheilung, bessere Durchblutung, kürzere Liegezeit nach orthopädischen Eingriffen und damit schnelleres Wiedererlangen der Beweglichkeit, da rascher mit der Rehabilitation begonnen werden kann.

Auch wenn noch nicht für alle positiven Genesungseffekte ausreichend harte Daten von großen Studien vorliegen würden, wie Helmut Trimmel, Leiter der Abteilung für Anästhesie, Notfall- und allgemeine Intensivmedizin am Klinikum Wiener Neustadt, ergänzt, seien sie dennoch unbestritten.

Immer beliebter

Seit dem Einsatz des Ultraschalls habe die Regionalanästhesie in den vergangenen Jahren einen enormen Aufschwung erlebt. Ultraschallgeräte weisen den Anästhesisten beim Legen der Betäubung von Nerven und von Gefäßzugängen den Weg. "Durch diese bildgebende Methode wird nur noch ein Bruchteil des bisher erforderlichen Anästhetikums benötigt", erläutert Trimmel die Entwicklung. Das Legen von Arterien- und Venenkathetern sei praktisch schmerzfrei und schnell erledigt.

Dennoch werde laut Voelckel in Österreich diesem Narkoseverfahren zu wenig Bedeutung beigemessen: "Im Ausbildungskatalog etwa kommt es nur stiefmütterlich vor." In seinem Spital in Salzburg betrage der Anteil der Operationen mit Regionalanästhesie zwar schon knapp 40 Prozent, könnte aber "auf 50 bis 60 Prozent gesteigert werden".

Dieser Prozentsatz sei an Unfallkrankenhäusern erreichbar, meint auch Trimmel. Die örtliche Betäubung eigne sich vor allem für Eingriffe an Gliedmaßen und damit in erster Linie für die orthopädische Chirurgie und Unfallchirurgie. An den herkömmlichen Häusern mit verschiedenen Fachabteilungen sei dieser Anteil nicht erreichbar, erklärt er. Im Spital Wiener Neustadt betrage er rund 15 Prozent, sei aber auf 20 Prozent steigerbar.

Der Grund, warum der Einsatz der Regionalanästhesie noch hinter dem Möglichen liege, sei laut Trimmel jedoch weniger die mangelhafte Ausbildung im Studium als vielmehr die fehlende Zeit während der Facharztausbildung. Bis ein Anästhesist in der Ultraschallmethode versiert sei, benötige er mehrere Monate der Übung. Angesichts der Personalknappheit fehle dafür an den Spitälern häufig die Zeit, meint Trimmel: "Die Effizienz des Betriebs steht hier in Konkurrenz zum Ausbildungsfortschritt."

Die Angst der Patienten

Und natürlich spielt auch der Patient selbst eine entscheidende Rolle. "Viele sagen gleich, dass sie schlafen und nichts mitbekommen wollen", sagt Voelckel. Die Angst, die OP bewusst zu erleben, sei aber unbegründet. So erhalten die Patienten ein entspannendes Medikament gespritzt, das zugleich das Erinnerungsvermögen an die Zeit im Operationssaal trübt. Ein umfassendes Aufklärungsgespräch mit dem Anästhesisten vor dem Eingriff hilft, die Bedenken zu zerstreuen.

Mittlerweile könne sich die Anästhesie differenzierter mit den Wünschen der Patienten auseinandersetzen, da die Narkosekomplikationen in den letzten Jahrzehnten deutlich verringert werden konnten, umreißt der Facharzt den medizinischen Fortschritt. "Heute geht es um den Patientenkomfort", meint auch Trimmel. Vollnarkose und Regionalanästhesie sind im Hinblick auf das Gesundheitsrisiko "völlig gleichzusetzen". Die Wahl der Methode sei individuell mit dem Patienten abzustimmen.

"Aber nicht jeder Kollege traut sich eine Regionalanästhesie zu", erklärt Voelckel. So konnte die verunglückte Mutter bei ihrer Folgeoperation ein Jahr nach dem Skiunfall auch nicht wählen. Die Anästhesistin hatte von vornherein bestimmt, dass die Operation in Vollnarkose durchgeführt werden wird. (Kerstin Scheller, DER STANDARD, 24./25.1.2015)