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Am Donnerstag bewegte Mario Draghi wieder weltweit die Finanzmärkte. Von Beginn an hatten seine Kritiker Angst, er werde nur den südeuropäischen Schuldenländern beispringen. Dabei ist er auch ein Verfechter strenger Haushaltsdisziplin

Foto: ap/Michael Probst

Im Juni 2011, als der italienische Notenbankchef Mario Draghi vom Europäischen Rat zum neuen Chef der EZB gewählt wurde, hatten sich nicht wenige Kritiker besorgt gefragt, ob es eine gute Idee sei, die Stabilitätssicherung der Gemeinschaftswährung ausgerechnet einem Italiener anzuvertrauen. Der damalige Regierungschef Silvio Berlusconi hatte den Ruf des Landes nachhaltig ramponiert, außerdem stand Italien praktisch vor dem Staatsbankrott. Draghi, argwöhnte man in Deutschland, werde im Frankfurter Eurotower doch nichts anderes tun, als seinem Krisenland und den anderen Lotterstaaten am Mittelmeer aus der Patsche helfen zu wollen, womöglich mit der Vergemeinschaftung der Staatsschulden.

Ähnliche Verdächtigungen muss sich Draghi auch heute wieder anhören - und tatsächlich hat sein Entscheid vom Donnerstag die italienischen Zinsen auf einen neuen Tiefstand absacken lassen, obwohl die Staatsschuld in den Augen aller Ratingagenturen nur hauchdünn über Ramschniveau liegt. Dem EZB-Chef zu unterstellen, sein Schritt habe auch patriotische Motive, ist aber aus der Luft gegriffen: Draghi hatte schon als italienischer Nationalbankchef unablässig Haushaltsdisziplin und Strukturreformen gepredigt und sich gegen die Einführung von Eurobonds ausgesprochen.

Kritik an Berlusconi

Bei Berlusconi hatte er sich zudem mit seiner Kritik an Staatsinterventionismus, Klientelwirtschaft und Abschottungstendenzen unbeliebt gemacht. Auch der heutige Regierungschef Matteo Renzi musste sich von Draghi sagen lassen, dass es bei Reformen nicht auf deren Ankündigung, sondern auf die Realisierung ankomme.

In Wahrheit gilt der gebürtige Römer Draghi in Banken- und Expertenkreisen als ausgesprochen "unitalienisch" - was in finanzpolitischen Dingen als Kompliment zu verstehen ist. Als Chef der italienischen Notenbank war er im barocken Politbetrieb der Hauptstadt auf wohltuende Weise ein Fremdkörper geblieben.

Fremdkörper Draghi

Das liegt auch daran, dass er viele Jahre im Ausland verbracht hat, vor allem in London und New York - was man von den wenigsten italienischen Entscheidungsträgern behaupten kann. Nach dem Abschluss eines Jesuiten-Gymnasiums in Rom zog es Draghi, der früh beide Eltern verloren hatte, bald in die USA, wo er Ökonomie und Finanzwirtschaft studierte; zu seinen Lehrern am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) zählten zwei Nobelpreisträger.

Schon mit 35 Jahren wurde "Super-Mario", wie er von Kommilitonen genannt wurde, Professor an der Uni Florenz, mit 37 amtierte er bereits als Exekutivdirektor der Weltbank in Washington. Seine akademische Karriere krönte er 2001 mit einer Professur an der Eliteuniversität von Harvard.

Langjährige Erfahrung

Daneben sammelte er Erfahrungen im italienischen Wirtschaftsministerium, bei der Finanzaufsicht, in der Banca d'Italia; außerdem war er Mitglied des Verwaltungsrates der Staatsholding IRI, des Energiekonzerns ENI und der Banca Nazionale del Lavoro.

Draghi ist in seiner Heimat schon für fast jedes hohe politische Amt im Gespräch gewesen: Nach dem Sturz Berlusconis wurde er als möglicher Premier gehandelt, nach dem Rücktritt von Giorgio Napolitano vor einigen Tagen als möglicher neuer Staatspräsident. Draghi beendet solche Spekulationen stets mit der Feststellung, Politik sei nicht seine Berufung.

Wenn man Draghi etwas vorwerfen könnte, dann dies: dass er ein Herz für Anleger und Investmentbanker habe. Seine Tätigkeit als Vizepräsident von Goldman Sachs (2004 bis 2005) gilt als einziger dunkler Fleck in einer ansonsten brillanten Karriere. Dem US-Geldhaus wird vorgeworfen, Griechenland bei der Aufhübschung seiner Haushaltszahlen geholfen zu haben.

Draghi hat mehrfach betont, mit den Vorgängen um Griechenland nicht betraut gewesen zu sein. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt für Draghis angebliche Nähe zu den Börsianern jedenfalls dasselbe wie für seine Heimatliebe: Zwar jubelten am Donnerstag sowohl die Börsen als auch der italienische Finanzminister - aber der überzeugte Europäer Draghi hat bei seinem Entscheid nicht an die Investmentbanker und an Italien gedacht, sondern an Europa. (Dominik Straub aus Rom, DER STANDARD, 24.1.2015)