Mit Legosteinen bauen Schülerinnen der Colaiste Bride Schule ihre Geschäftsmodelle. Ministerin Karmasin will auch in Österreich einen stärkeren Fokus auf Selbstständigkeit bei Jugendlichen legen.

Foto: Oona Kroisleitner

Die 16-jährige Tara hat während ihres Übergangsjahres ein kleines Backunternehmen gegründet.

Oona Kroisleitner

Kreatives und selbstständiges Arbeiten soll den Schülerinnen ermöglichen ihre Interessen zu vertiefen und Stärken zu erkennen.

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Aus grauen, blauen und orangefarbenen Legosteinen baut Jessica einen Roboter. Fünf Cent kosten die ersten beiden Farben, 15 die letzte, diese verwendet sie nur zur Zierde. Die 15-Jährige ist nicht etwa in der Kindergruppe am Spielen, das Roboterbauen ist Teil ihres Unterrichts. Dabei sollen die Schülerinnen der Colaiste Bride Mädchenschule in Dublin wirtschaften lernen.

Das Spielzeug, das Jessica und ihre Team-Kolleginnen zusammensetzen, wird in der Produktion 2,70 Euro kosten. Um vier Euro würden sie es verkaufen, erklären sie in der Präsentation. Zwei Stunden pro Woche kann sie im Fach zur Unternehmensentwicklung kreativ sein und sich Gedanken über eine mögliche Selbstständigkeit machen. "Es wirkt wie eine Menge Arbeit, sein eigenes Geschäft aufzumachen", sagt sie.

Jessica ist eine von 23 Schülerinnen, die Jugendministerin Sophie Karmasin (ÖVP) am Freitag in ihrer Klasse besucht hat. Bei ihrer Dublin-Reise mit Ministeriumsmitarbeiterinnen will Karmasin Ideen für Bildung und Jugendarbeit nach Österreich holen.

Auszeit auch in Österreich

Die besuchten Teenager sind aktuell in ihrem "Transition Year" - einem Übergangsjahr. Das freiwillige Bildungsprogramm steht allen Schülern offen, die die Unterstufe abgeschlossen haben. In 75 Prozent aller irischen Schulen wird es angeboten.

In dem Jahr sollen die Kinder sich etwas vom Schulalltag zurücknehmen können: Statt Prüfungen und Tests zu schreiben, sollen sie eigenständig Projekte machen und Erfahrung in Berufswelt oder Sozialarbeit sammeln. Zusätzlich können die Schüler selbst aus einem Pool an Fächern, wie Sprachen, Wirtschaft oder Naturwissenschaften, Schwerpunkte setzen. Durch die projektbezogene Arbeit in der Schule sollen die Jugendlichen selbstständiger werden, ihre Stärken kennenlernen und Interessen vertiefen.

Jeden Mittwoch sind die Schülerinnen nicht in der Schule, sondern schnuppern etwa bei Friseuren oder Spitälern. "Sie können sich zurückziehen und haben keinen Prüfungsstress und können sich Gedanken machen, was sie später arbeiten wollen", sagt Karmasin. Auch für Österreich wäre ein solches Jahr - auf freiwilliger Basis - für Karmasin wünschenswert: "Wir werden das Übergangsjahr jedenfalls in die Bildungsreformgruppe einbringen." Die Rahmenbedingungen müssten noch genauer "durchdacht" werden. Etwa, dass Schüler dieses Jahres länger Familienbeihilfe beziehen.

Nach der Schule wüssten viele nicht, was sie in ihrem Leben machen wollen, was dazu führe, dass viele ein Studium beginnen, dieses aber nach kurzer Zeit wieder abbrechen würden. Laut einer im August 2014 erschienen Studie des "Instituts für Höhere Studien" (IHS) liegt die Abschlussquote des Erststudiums bei 65 Prozent. Die restlichen Studierenden brechen ihr Studium ab, wechseln ihr Fach oder auf eine andere Hochschule.

"Oft kennen Maturanten nur das, was ihre Eltern gemacht haben. Die Ausbildung in Österreich ist immer noch eine Milieufrage - in beide Richtungen", sagt Karmasin. Eltern aus Akademikerfamilien wünschen sich für die Kinder, dass sie studieren, auch wenn das vielleicht nicht immer das Richtige ist, meint die Jugendministerin.

Bildungsministerium prüft

Das SPÖ-geleitete Bildungsministerium bezeichnet den Ansatz eines Übergangsjahres als eine "interessante Idee", die geprüft werde. "Dabei wird man sich auch die Erfahrungen in Irland genauer ansehen", heißt es aus dem für Schule zuständigen Ministerium.

Rückhalt bekommt Karmasin aus der eigenen Partei: "In den Bereichen der individuellen Talenteförderung passiert in Österreich bereits sehr viel. In Zukunft wollen wir den Übergang der verschiedenen Ausbildungsstufen noch optimieren und Potenziale bestmöglich fördern. Die Frage der Schnittstellen steht bei der Bildungsreformkommission im Fokus", sagt Wissenschaftsstaatssekretär Harald Mahrer (ÖVP).

Nach dem Legospielen präsentieren die mit blauen Pullovern und Schottenröcken bekleideten Mädchen einige ihrer Geschäftsmodelle. Über die Jugendorganisation "Foróige" wurden die Schülerinnen mit 15 Euro unterstützt, um eigene Kleinstunternehmen zu entwickeln. Jessica hat gemeinsam mit zwei Freundinnen Kunstobjekte mit Schnüren und Nägeln gebaut. Auf einem lokalen Handwerksmarkt haben sie diese verkauft und knapp 70 Euro eingenommen. Die 16-Jährige Tara hat über das Projekt ihr kleines Bäckereiunternehmen "Cake Bites" gegründet. Sie verkauft ihre Kuchen-Lollypops an Bäckereien in der Umgebung und beliefert Hochzeiten und andere Veranstaltungen. "Das ist viel für diese Kinder. Außerdem steigern sie ihr Selbstbewusstsein", sagt Jessicas Unternehmenslehrer.

Foróige unterstützt Schulen in finanziell benachteiligten Gegenden von Irland "Viele der Kinder, mit denen wir arbeiten, haben nicht die Möglichkeit, ihren Interessen nachzugehen oder diese überhaupt zu finden. So unterstützen wir das formale Bildungssystem", sagt der ehemalige Lehrer John Cargill von Foróige.

Den "Fokus auf unternehmerische Tätigkeiten bei Jugendlichen zu wecken" wäre Karmasin auch in Österreich ein Anliegen. Lediglich 30 Prozent können sich hier vorstellen, selbstständig zu werden: "Es ist schade, dass wir diesen Geist nicht genug ausbilden", sagt die Ministerin. Ein solches Fach würde sie gerne aufnehmen: "Man könnte die Programme auch in Jugendzentren anbieten." (Oona Kroisleitner aus Dublin, DER STANDARD, 26.1.2015)