Bild nicht mehr verfügbar.
Wählerin bei der Stimmabgabe am Sonntag in Thessaloniki.
Tsipras strahlt, Tsipras schwebt. Erste Hochrechnungen ergaben am Sonntagabend einen überragenden Sieg für die radikale Linke. Mit über 36 Prozent der Stimmen könnte Alexis Tispras' Partei Syriza in die Nähe einer absoluten Mehrheit kommen. Die bisher in einer Koalition mit den Sozialisten regierenden Konservativen von Premier Antonis Samaras landen abgeschlagen auf dem zweiten Platz.
"Das scheint ein historischer Sieg zu sein", sagt Syriza-Sprecher Panos Skourletis, selbst ein bisschen erschrocken: Zum ersten Mal überhaupt gewinnen Linkssozialisten und Reformkommunisten die Wahlen in Griechenland und können die Regierung übernehmen. Nach fünf Jahren des massiven Sparkurses, der ein Drittel der griechischen Familien verarmen ließ, setzt sich eine Anti-Austeritätspartei durch.
Tsipras' Siegeslauf beginnt Sonntagmorgen in Kypseli, in der Athener Innenstadt. Der Chef der radikalen Linken eilt durch die zugeparkten Seitengassen seines Wohnviertels zum Wahllokal, Hunderte von Kameramännern und Fotografen mit sich ziehend wie ein Rockstar, der einmal eben kurz aus der Hoteltür tritt, um einen Spaziergang zu wagen.
Ein bisschen Frühling
Hemd und Sakko trägt er offen, wie immer. Es ist schon ein bisschen Frühling. Mikrofone werden ihm ins Gesicht gehalten. "Europas gemeinsame Zukunft ist nicht die Sparpolitik", sagt Tsipras, und dann sogar auf Englisch, in dem er eigentlich nicht sattelfest ist: "Griechenland wird zur Demokratie, zum sozialen Zusammenhalt und zur Würde zurückkehren." Dann reißt er wieder den Arm mit der geballten Faust hoch, und die Leute applaudieren.
Alexis Tsipras, der 40-jährige Volkstribun, war es, der diese vorgezogenen Parlamentswahlen erzwungen hat und nun das Steuer herumreißen will. Der Sieg seines linken Parteienbündnisses erschüttert die EU, auch wenn Griechenland gerade einmal 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung der Union ausmacht. Griechenlands Kreditgeber wird er zum Nach-, wenn nicht gleich zum Umdenken zwingen. Die anderen linken Protestparteien in Europa, allen voran Podemos ("Wir können") in Spanien, wird Syrizas Wahlsieg beflügeln. "Es ist ein Signal an Europa, dass die Verkürzungs- und Verarmungspolitik, die über Südeuropa verhängt worden ist, nun auch politisch gescheitert ist. Ökonomisch war sie es ja schon vorher", erklärt Bernd Riexinger, der Ko-Vorsitzende der deutschen Partei Die Linke, der zur Wahl nach Athen kam.
Antonis Samaras hat das bestritten. Tag für Tag hat er den Griechen seine "Wir-sind-aus-dem-Gröbsten-raus"-Botschaft einzuhämmern versucht. "Diese Wahlen bestimmen unsere Zukunft und die unserer Kinder", sagt der noch amtierende Regierungschef, als er in seinem Wahlort, dem Hafenstädtchen Pylos an der Südwestspitze des Peloponnes, seine Stimme abgibt. Jetzt gehe es darum, "mit Stärke und Sicherheit" voranzugehen - "oder wir kommen in Schwierigkeiten".
"Grexit" spukt weiter
Immer noch hängt Griechenlands Hinauswurf aus der Eurozone wie ein Schreckgespenst über den Köpfen, auch wenn die EU-Kommission in Brüssel einen Schlussstrich unter die Debatte gezogen hat: "Unwiderruflich" sei Griechenlands Mitgliedschaft in der gemeinsamen Währung. "Wir müssen in Europa bleiben", ist gleichwohl ein Satz, dem man am Wahltag vor den Wahllokalen immer wieder hörte. Katerina sagt ihn, eine 70-jährige Dame mit großen weißen Perlen an den Ohren. "Ich habe die Hälfte meiner Pension verloren. Aber trotzdem glaube ich, wir brauchen Stabilität."
Viele aber suchten in dieser historischen politischen Wende, die sie kommen spürten, das "Gleichgewicht", wie Nikolaos, ein Ministerialbeamter, sagt: Die dritte Partei sei wichtig. Jene, die Syriza braucht, um regieren zu können. "Ich will nicht, dass Syriza allein regiert", sagt ähnlich Adriani, eine Professorin. "Ich arbeite an der Uni. Ich habe gemerkt, wie triumphierend nun die Syriza-Leute auftreten. Ich will, dass sie mit anderen Parteien kooperieren müssen."
Unerwartet aber schieben sich die Faschisten der Partei Goldene Morgenröte als drittstärkste Kraft noch vor der neuen Bürgerbewegung To Potami ("Der Fluß"); die Führung sitzt im Gefängnis. Der griechische Staatspräsident wird heute, Montag, Syriza ein Mandat zur Koalitionssuche geben oder Alexis Tsipras gleich zum neuen Premier ernennen. (Markus Bernath aus Athen, DER STANDARD, 26.1.2015)