Weil für die Nuri nur fangfrische und nicht wie sonst oft tiefgekühlte Ware verarbeitet wird, gibt es die heimische Kultsardine derzeit nicht mehr zu kaufen.

Foto: Lukas Friesenbichler

Es ist, man kann es nicht anders sagen, ein Drama: Die Nuri sind verschwunden. Wer dieser Tage im Supermarkt nach der vertrauten, sonnengelben Sardinendose mit dem elegant geschwungenen Schriftzug und den pikant gewürzten Fischleins im Inneren sucht, der wird nur mit Glück noch fündig werden. "Portugal und Spanien haben in ihren Gewässern mit 15. Dezember ein Sardinenfangverbot ausgesprochen", erklärt Alleinimporteur Jakob Glatz auf Nachfrage, "seitdem kann unser Partner in Portugal nicht mehr produzieren, wir nicht liefern. Jetzt gehen auch die Restbestände rapid zur Neige."

Dass mittlerweile sogar Sardinen so von Überfischung bedroht sind, dass Portugal und Spanien, wo jeweils zigtausende Arbeitnehmer in der Sardinenfischerei und -konservierung tätig sind, ein Fangverbot durchsetzen, ist alarmierend. Bis vor zehn, fünfzehn Jahren schien der Bestand schier unerschöpflich, jedes Jahr wurde mehr aus dem Meer geholt. Auch heute noch enden 90 Prozent der weltweit gefischten Sardinen und Sardellen nicht auf dem Teller, sondern als Tierfutter. Dabei handelt es sich allerdings um Fisch aus dem Pazifik, der im Wesentlichen vor Peru und Chile gefangen wird.

Mega-Omega-3-Lieferant

Parallel dazu hat sich in den vergangenen Jahren ein regelrechter Kult um die Dosensardine entwickelt. Nicht nur, dass sie für Binnenländer wie das unsere eine der erschwinglichsten Arten darstellt, sich mit essenziellen Fettsäuren zu versorgen (Sardinen dürfen mit 1579 Milligramm je 100 Gramm als Mega-Omega-3-Lieferanten gelten) - immer mehr Gutesser erkennen auch den hohen gastronomischen Wert sorgfältig hergestellter Fischkonserven.

So serviert der bayerische Drei-Sterne-Koch Christian Jürgens vom Restaurant "Überfahrt" am Tegernsee seinen Stammgästen gern einmal eine Dose Sardinen mit auf Holzkohle geröstetem Weißbrot zum Amuse-Bouche: "Die Leute reagieren etwas überrascht, aber die meisten lassen sich von dem Geschmack und der Qualität überzeugen." Bei Denis König im Wiener Restaurant Salzgries werden Sardinendosen serviert, deren Etiketten wie bei gutem Wein mit Jahrgangszahlen versehen sind. Derartige "Sardines millésimées" bestehen wie die Nuri ausschließlich aus fangfrisch eingelegten Fischen, die mit kaltgepresstem Olivenöl haltbar gemacht werden.

Kenner lassen diese Dosen gern bis weit über das gesetzlich festgelegte Ablaufdatum hinaus reifen: "Die Fettsäure des Öls lässt das Fleisch im Laufe der Jahre ganz besonders zart werden", erklärt Jakob Glatz das Prinzip, "das Ablaufdatum ist bei Ölsardinen nämlich kein Hinweis auf die tatsächliche Haltbarkeit." Tatsächlich: Googelt man "Ölsardinen" und "Haltbarkeit", landet man nicht nur auf diversen Gourmetblogs, sondern auch auf Seiten von Survivalexperten und Katastrophenszenaristen, die sich gegenseitig die "fast unbegrenzte Haltbarkeit" dieses Lebensmittels bestätigen. Man darf also davon ausgehen, dass Sardinen zumindest eingedost das Ende der Welt in dem einen oder anderen Bunker überdauern werden.

Fangverbot

Das Restaurant Corbaci im Wiener Museumsquartier hat auch noch welche gebunkert, immerhin steht "Butterbrot mit Nuri-Sardinen" hier seit Beginn auf der Karte. Wann in der Fischkonservenfabrik "Pinhais" bei Porto die Produktion der Nuri wieder losgehen kann, ist aber unklar. "Das Fangverbot gilt vorerst bis 15. März", sagt Jakob Glatz, "noch ist aber nicht klar, ob es danach tatsächlich wieder losgehen kann." Die 140 Angestellten sind derzeit zur Untätigkeit verurteilt, im Gegensatz zu den Fischern, die aus EU-Töpfen monatlich 600 Euro Entschädigung erhalten, gibt es für die Weiterverarbeiter keinerlei Unterstützung.

Carlos Montero, der für das Marine Stewardship Council (MSC) die Nachhaltigkeit der Fischerei in Spanien und Portugal evaluiert, weiß, warum das Fangverbot unvermeidlich wurde: "Seit 2004 gab es keine Fortpflanzungssaison mehr, in der sich die Sardinen richtig massiv vermehrt hätten - was ansonsten alle sieben bis neun Jahre der Fall ist und die Bestände sichern hilft." Was dafür genau der Grund ist, weiß die Wissenschaft einstweilen noch nicht. Das ist nicht nur für die Sardinenindustrie besorgniserregend, sondern für die Fischbestände an der europäischen Atlantikküste generell: "Sardinen und andere Blaufische sind als Schwarmfische immens wichtig für das Ökosystem als Ganzes", sagt Montero, "sie bilden ein essenzielles Bindeglied zwischen dem Plankton und jenen Fischen, die in der Futterkette höher angesiedelt sind." Kurz gesagt: Wenn es den Sardinen schlechtgeht, dann leiden in der Folge auch Makrelen, Tunfische, andere Raubfische, aber auch Meeressäuger und Seevögel.

Signale der Hoffnung

Ob das bis 15. März angesetzte Verbot ausreichen wird, lässt sich noch nicht sagen, Montero ist vorsichtig optimistisch: "Jetzt ist die Fortpflanzungszeit, es ist das erste Mal, dass Spanier und Portugiesen sich auf einen gemeinsamen Schutzplan einigen konnten - das sind Signale, die einem Hoffnung geben." Offenbar, so Montero, habe der Einbruch beim Sardellenfang im Golf von Biskaya vor mehreren Jahren auch bei den Spaniern "heilsame Wirkung gezeigt": Damals wurde ein Fangverbot für fünf Jahre ausgesprochen - mit dramatischen Effekten für die Fischer und Konservenfabriken. Heute aber dürfen die Sardellenbestände vor den baskischen Küsten dafür wieder als gesund gelten.

Für Freunde der Nuri-Sardine heißt es hoffen, dass es in diesem Fall schneller geht. Um den Weiterbestand der seit mehr als 80 Jahren bestehenden Konservenfabrik Pinhais zu gewährleisten und Hardcore-Fans eine Ausweichmöglichkeit zu bieten, hat Glatz beim österreichischen Lebensmittelhandel interveniert, um zumindest ein Alternativprodukt in deren Regalen zu platzieren. Bei Rewe hatte er Erfolg, weshalb es ab Mitte/Ende Februar Sardinen aus Pinhais in original Nuri-Rezeptur bei Billa, Penny, Merkur geben wird. Allerdings aus Tiefkühlware, weshalb die Packungen zwar den Nuris ähnlich sehen, aber unter dem Markennamen Jamis verkauft werden. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 30.1.2015)